Ob das Trio jemals wieder so zusammenspielen würde, fragt mein Vergangenheits-Ich bei der Besprechung von „LMR“, und Präsens-Ich antwortet heute: Wie konntest du eigentlich jemals daran zweifeln?
Da fragt es zurück. „Wie, echt jetzt? Wie machen die sich denn inzwischen so?“ Und ich so:
„Als pythoneske Rechtsanwälte in schnieken Anzügen treten die drei Herren auf dem Cover auf, um, ja... für das Recht des Prog einzutreten, gehört zu werden, möglicherweise? Wie sie da so stehen, mit verschränkten Armen und abfälligem Gesichtsausdruck, als machten sie auf Vox Werbung für eine Job-Offer-Castingshow, verweisen sie natürlich selbstironisch auf den verspielten Charakter ihrer eigenen Zusammenkunft. Auf dem Backcover wird Einblick in die Empfangshalle gewährt: Böden und Tresen aus Marmor und wie Fremdkörper positionierte Instrumente... ein Piano, eine Gitarre, ein Chapman Stick. Eine surreale, cartoonartige Welt aus Patchwork-Versatzstücken. Fast wie bei...“
„...den ARISTOCRATS“, entgegnet Vergangenheits-Ich. „Kommt mir bekannt vor.“
„Stimmt, ich erinnere mich.“, ich weiter. „Abgesehen davon, dass das Booklet- und Coverartwork im Gegensatz zur ersten LMR jetzt tatsächlich ein richtiges Konzept verfolgt, hat sich eigentlich nicht sehr viel verändert. Wer Musik veröffentlicht wie ein niemals versiegender Brunnen – da können sich alle Drei angesprochen fühlen – genießt eben den Vorteil, komplett im Fokus zu sein. Es bleibt zu bezweifeln, dass ein Levin, ein Minnemann oder ein Rudess mit dem gleichen Intellekt ans Songwriting gehen wie ein Maynard James Keenan, der bereits seit zehn Jahren an der neuen TOOL brütet (oder eben auch nicht). Doch was hat jeder der drei schmucken Männer von dem weißen Cover in dieser Zeit Seiten der Musikgeschichte gefüllt, ohne vermutlich großartig darüber nachgedacht zu haben, ob eine ihrer Veröffentlichungen wirklich Sinn ergibt. Die machen einfach den Mund auf und lassen ihre Regenbögen fließen.
Und diese nehmen für gewöhnlich die absonderlichsten Farben und Formen an. Wir reden hier nicht von einer halben Stunde neuer Musik, nein, die Herren Anwälte haben mal wieder Überstunden gemacht, um ein saftiges 69-Minuten-Plädoyer für die Lust am Ausprobieren vorzubereiten – ganz ohne Anwaltsgeschwafel. Das Reden übernimmt ein Satz ausgewählter Tasten-, Saiten- und Schlaginstrumente, die jedem Mitstreiter seine besten Eigenschaften entlocken. So erinnert das Gesamtkonzept vor allem an Marco Minnemanns Stammband, der bei den ARISTOCRATS von ähnlich schillernden Persönlichkeiten umgeben ist wie hier; doch der kindliche Jam-Trieb der Aristokraten wird von den leuchtenden Keyboardflächen Rudess' auf ein songdienlicheres Niveau gehoben. Levins Chapman Stick indes fügt wieder eine technoid-rhythmische Note hinzu, derweil ihm im Umkehrschluss das Unterkühlte seiner STICK MEN entzogen wird. Und Rudess selbst wiederum läuft nicht ganz so übereilt in die Kitschfalle wie bei DREAM THEATER.
Klar mag das jetzt schmecken wie ein dicker Schichtsalat und nicht die puristischen Vorzüge der anderen genannten Bands haben, doch das Ergebnis aus den 'Law Offices' entbehrt nicht seines ganz besonderen Reizes, der aus der unverwechselbaren Zusammenführung dieser Musiker entsteht: Das Album ist hymnisch, rockig, melodisch und vertrackt zugleich. Die Anzahl der verwendeten Keyboardsounds ist kaum noch zu zählen (zumal neben dem im Vorgänger schon zu hörenden Seaboard diesmal auch die GeoShred-Technologie zum Einsatz kommt, mit der endgültig alle Möglichkeiten des akustisch Machbaren ausgereizt werden), und doch ergeben sich harmonische, dabei kristallklare Songstrukturen auf ihrem Rücken. Weniger als auf dem Debüt lassen sich dabei einzelne Songs einzelnen Personen zuordnen; es gibt kaum noch 'den' Schlagzeugsong, 'den' Keyboardsong oder 'die' Stick-Nummer.“
„Fast so, als seien die grobschlächtigen Einzelteile aus 'LMR' zusammengeschmolzen.“
„Jepp. Und was kommen da für gefühlvolle Dinger bei raus. 'Shiloh's Cat' klingt wie eine dieser sexy 90er-Jahre-Nummern mit Saxophon (es würde nicht verwundern, wenn das auch aus Ruddess' Hexerhut gezogen wurde). 'What Is The Meaning' hat diese andersweltliche Funkel-Faszination einer OZRIC-TENTACLES-Platte und die hüpfende Leichtigkeit eines Ian-Anderson-Albums. 'The Fort' klingt steril und kalt wie eine der vielen Neo-Crimson-Inkarnationen à la KOMARA oder etwas, woran sich ein Colin Edwin in seiner Freizeit beteiligen würde. Dann gibt es trockenes Geriffe auf 'Riff Splat', Zirkusmusikalisches auf 'Habeas Porpoise' und mit 'Testimony' sogar eine tieftraurige Pianoballade mit 80er-Jahre-Glasharfeneffekten und ohne das hektische Zusammenspiel der Eingangstitel.“
„Kann man also wieder zuschlagen, wenn man das andere Album mochte?“
„Wäre auch mein FAZIT: Natürlich darf man wieder 'nur' hochexperimentellen Jamrock erwarten, aber erstens kommt dieser hier nochmal eine Nummer eingespielter daher als beim ersten Versuch vor drei Jahren, und zweitens kommt es hier ohnehin viel eher auf die Faszination an, zu sehen, wie sich drei chemische Bestandteile zu etwas Spannendem verbinden. Man kennt seine Vanilleschote, seinen Pfeffer und seine Minze. Was aber, wenn man alles miteinander kombiniert?“
„Kaboom!“.
„Kaboom.“
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 19.08.2016
Tony Levin
Marco Minnemann, Tony Levin
Jordan Rudess
Marco Minnemann
Tony Levin (Chapman Stick, Cello), Jordan Rudess (GeoShred, Seaboard)
Lazy Bones Recordings
69:46
29.07.2016