Aus dem KATATONIA-Nimbus ist nur noch Klampfer Fred Norrman dabei, doch so oder so haben OCTOBER TIDE mittlerweile stilistisch wenig mit jener Band zu tun, aus der sie als Projekt hervorgingen. Speziell "Rain Without End" war 1997 vor dem zeitlichen Kontext innerhalb der Szene betrachtet ein Insidertipp für schwermütige Hörer, doch so richtig kam die Gruppe nie aus den Puschen, auch weil sie zwischenzeitlich länger als zehn Jahre nichts veröffentlichte.
Die Schweden zeigen sich auf ihrem zweiten Album seit dem Comeback um 2009 in bester Verfassung, auch wenn man keine Neuerungen erwarten sollte, aber warum müssten sich OCTOBER TIDE auch verbiegen, wo PARADISE LOST aktuell auch wieder mit ihrem alten Stil Punkte sammeln. Die Band stand den Briten ohnehin seit je nahe, und daran ändert sich auf "Winged Waltz" nichts, auch wenn die Doom-Komponente des 90er Death Metal stärker hervorgehoben wird, weshalb MY DYING BRIDE im Grunde als besser treffender Vergleich herhalten.
Hinzu kommt jedoch die unverkennbar skandinavische Note der Gruppe, die betont, wie hart sie an der Platte gearbeitet habe, was man anhand längerer Kompositionen erkennen mag. Selbige wirken aber nicht so, als seien rigoros Ideen gesiebt worden, im Gegenteil: Hinsichtlich dessen, was in dieser Stilistik so üblich ist, wirken so einige Parts nachgerade beliebig, sei es zwischenzeitlich entrücktes Zupfen ohne Verzerrer ("Sleepless Sun") oder der (zugegebenermaßen erfolgreiche) Versuch, ältere Opeth auf fünf Minuten einzudampfen, wie es OCTOBER TIDE mit "A Question Ignite" tun.
Sänger Alexander Högbom trägt viel dazu bei, den austauschbaren Charakter von "Winged Waltz" immer dann zu relativieren, wenn man die Aufmerksamkeit zu verlieren droht, weil zu wenige Leads so richtig packen. Mit Bezug auf die erwähnten Verweise in frühere Zeiten - gerade was den Sound bzw. die erfreulich dynamische Produktion angeht - lässt die Scheibe vor allem einen Schluss zu …
FAZIT: Hier wurde alle möglichen Konsequenzen in Kauf nehmend Nostalgie vertont, und wenn man den Early-Nineties-Style liebt, dem OCTOBER TIDE heuer frönen, wird man mit "Winged Waltz" so glücklich wie mit kaum einer anderen aktuellen Scheibe. Anspieltipp für die angesprochene Klientel: das gelungen dramatische "Reckless Abandon". Schön und selten, diese Einschätzung macht das Album besser, als es gegenüber mehr Konkurrenz wäre.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 26.04.2016
Mattias Norrman
Alexander Högbom
Fredrik Norrman, Emil Alstermark
Jocke Wallgren
Agonia / Soulfood
50:25
29.04.2016