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Periphery: Periphery III: Select Difficulty

Stil: Progressive Metal

Cover: Periphery: Periphery III: Select Difficulty

Spielmechanik bewerten anstatt Instrumentalfähigkeiten... Backtracking kritisieren anstatt die Selbstwiederholung nach dem Durchbruchsalbum... die Leistungen der Grafik-Engine beurteilen anstatt den Kunstgehalt hinter dem Coverartwork... zu Quicktime Events tanzen anstatt zu Architektur. Ach... wär' man doch Videospiel-Redakteur! Was könnte das Leben einfach sein.

Aber man will sich ja nicht beschweren. Endlich denkt auch die Musikindustrie mal in Videospielen. Nach HAKENs „Affinity“ wird nun bei PERIPHERY frei nach Vorbild vorsintflutlicher Videospielautomaten der Schwierigkeitsgrad gewählt. Da fällt das Schreiben doch einfach. Komm in meine Arme, du heile Welt meiner Kindheit, die du nur drei Möglichkeiten botest! Easy, Medium, Hard. So schön konnte schwarz und weiß sein, und das nicht nur auf dem Gameboy.

„Easy“ habe ich es mir mit dem letzten Doppelalbum gemacht, indem ich es einfach gekauft, gehört und dazu geschwiegen habe. Und die Kollegen hatten auch keine Lust, so dass in der Musikreviews-Chronik aktuell eine Lücke klafft (sorry). Heute kann man dazu ja vielleicht kurz anmerken, dass so etwas Größenwahnsinniges wie ein Doppeldecker von einer tighten Truppe wie PERIPHERY überschäumende Erwartungen wecken konnte, um bald dann doch mit leichter Enttäuschung zu den Akten gelegt zu werden; wie halt so oft, wenn sich jemand an zwei Alben gleichzeitig traut, schlich sich Füllmasse ein. Meistens fällt eine Hälfte der anderen gegenüber deutlich ab, so wie im Verhältnis von „Alpha“ zu „Omega“ geschehen. Insgesamt mischten sich zu den zuverlässig wiederkehrenden Awesome-Momenten deutlich zu viele Cheese-Augenblicke, in denen man gerne eine Faust in Spencer Sotelos weit geöffneten, zahnpastaweißen, bartumgarnten Biberschlund gedrückt hätte.

Stufe „Medium“ würde man jetzt normalerweise vom schnell nachgeschobenen „Römisch 3“, dem neuen Abschnitt des regulären Albenzyklus also, erwarten, denn es erscheint nur eineinhalb Jahre nach den immerhin 80 Minuten vom Januar 2015 und hat selbst beachtliche 65 davon auf dem Buckel. Eigentlich zu plötzlich, um wirklich gut zu sein. Hier bestätigt sich wieder, dass PERIPHERY zu den produktivsten Vertretern ihres Faches gehören. Masse war jedoch noch selten ein Äquivalent für Qualität, und so gilt es, mit gespitzten Ohren zu lauschen und schon mal einen Fluchtplan auszuhecken. Man weiß ja nie.

Doch das Ding geht zum Auftakt steil, als gäbe es kein Morgen. „The Price Is Wrong“ und vor allem „Motormouth“ geben sich äußerst unleidlich und mies gestimmt. Fiese Dissonanzen begleitet das sich selbst überrumpelnde Schlagzeug auf dem Weg in die Untiefen der heruntergestimmten Bratzgitarren Mansoors und seiner Wing Men Holcomb und Bowen, indes Sotelo hoffentlich eine Packung Hustenbonbons auf dem Nachttisch stehen hat. Auch wenn die beiden Stücke im Grunde aus nichts anderem bestehen als irreführenden Ausreißern aus den taxonomischen Mustern des neuen jungen Progmetal, die am Ende eben doch einen fein säuberlichen Webteppich ergeben, so zeichnet ihre Dichtheit und ihre feine Struktur bei kompromissloser Härte das Washingtoner Sextett weiterhin als das wichtigste seiner Spielart aus.

Überhaupt ist „Select Difficulty“ im Gesamten wieder eine ganze Nummer schneidender als die vorangegangenen Erzeugnisse. Das hindert allerdings nicht daran, „Marigold“ mal eben mit Streichern beginnen zu lassen und ungeachtet eines eventuell einzuhaltenden roten Fadens wie eine Theateraufführung wirken zu lassen. Erste Chöre begleiten den Hauptgesang und die Ambients, die eigentlich eher eine Spezialkraft der „Tesseract“-Kollegen sind, bekommen erstmals Luft zum Atmen, zumindest stoßweise.

Und diese Momente der meditativen Ruhe seien wohlbedacht aufgenommen, denn viele sind sie nicht. Bei der Ausformung ihrer Ideen gehen die Herrschaften voller Wahnwitz nach der Maßeinheit Sekunde vor; wohl auch ein Grund, weshalb man sich dazu entschied, (fast) alle Songs vor dem offiziellen Release täglich einzeln auf Youtube zu veröffentlichen, um jedem von ihnen die angemessene Aufmerksamkeit im Einzelnen zu geben. Denn im Albumkontext fressen sie sich gegenseitig auf. Das wiederum kann man anstrengend finden oder sich eben gerade an diesem atomaren Overkill erfreuen. Der Rezensent entscheidet sich für letzteres. Schwierigkeitsstufe „Hard“.

So begnadet die junge Stahlmaschine ihre Zahnräder auf der technischen Seite auch schwingen mag, sie ist immer noch anfällig für das gewisse Quäntchen Bad Taste, meist entstehend aus den Metalcore-Einflüssen, die unter der Oberfläche brodeln. Die angesprochene Symphonie in „Marigold“ setzt ja schon zehn kleine Mädchen gegen einen fetten Kerl auf eine Schaukel, unwissend, welchen Ausgang dieses waghalsige Kippspiel haben wird. Und auf Stücken wie „Habitual Line Stepper“ setzt man die Orchesterbegleitung sogar fort. Der gleiche Song hat aber wiederum eine sehr effektive Breakpassage im letzten Drittel zu bieten, bei der man sich vor Erregung im Kreis wundlaufen möchte. Dann aber wieder diese kitschigen Melodieführungen in Stücken wie „The Way The News Goes“ oder „Catch Fire“, die mit poppigeren Arrangements untermalt einer High-School-Dramödie dienlich sein könnten. Auch der ziemlich coole Groove des schon älteren Ehemals-Instrumentals „Absolomb“ gewinnt durch die addierten Gesangslinien nicht unbedingt an Lässigkeit dazu, sondern verklebt auf halber Strecke.

Ausgerechnet „Lune“, das mit derartigen Klebstoffen eigentlich am meisten fuhrwerkt, ist aber möglicherweise doch das schönste Stück des Albums – vielleicht, weil sich all die Knoten der vergangenen Stunde hier auflösen. Und natürlich, weil es so wundervoll andersweltlich klingt. Und weil hier auch mal die Melodie überzeugt.

FAZIT: Geile Platte. Eigentlich. So alles in allem. PERIPHERY untermauern ihren Ausnahmestatus in der Szene mit einem ziemlich lauten Kracher. Schwierigkeitsstufe „Hard“ schlussendlich, ganz klar, auch wenn unter dem Deckmantel der Technik primitives Beat-em-Up-Geprügel auf der Speisekarte steht. Nur wartet man irgendwie immer noch auf den Moment, in dem die Jungens endgültig erwachsen werden. Die gleichen Basisqualitäten, ganz ohne auch nur einen der sporadisch aufploppenden Facepalm-Momente, gebündelt in hochklassiges, seriöses Songwriting, ohne dabei den Spirit zu opfern...dafür gäbe es dann den Platin Award. So bleiben erstmal 73%. Oder, wie wir von der Musikjournaille sagen, 11/15.

Punkte: 11/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 29.07.2016

Tracklist

  1. The Price Is Wrong
  2. Motormouth
  3. Marigold
  4. The Way The News Goes...
  5. Remain Indoors
  6. Habitual Line-Stepper
  7. Flatline
  8. Absolomb
  9. Catch Fire
  10. Prayer Position
  11. Lune

Besetzung

  • Bass

    Adam Getgood

  • Gesang

    Spencer Sotelo

  • Gitarre

    Jake Bowen, Mark Holcomb, Misha Mansoor, Adam Getgood

  • Schlagzeug

    Matt Halpern

  • Sonstiges

    Misha Mansoor (Synthesizer, Orchesterarrangements)

Sonstiges

  • Label

    Century Media

  • Spieldauer

    64:03

  • Erscheinungsdatum

    22.07.2016

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