Wahrscheinlich werden sich nicht mehr sehr viele Musikliebhaber an eine Zeit erinnern, in der ein etwas exzentrischer, deutscher Musiker und seine Band unter dem Namen POEMS FOR LAILA oder später als NIKOLAI TOMÁS solo in den 90er Jahren durch die Lande zog, um seine bewegenden kleinen, aber umso wirkungsvolleren Musik-Poesien erklingen zu lassen. Dabei wirkten seine Stücke wie Klang-Gedichte, die ihren Inhalt durch die Musik noch deutlicher zum Ausdruck bringen konnten. Bis 2007 hielt er sich damit über Wasser, dann war Schluss. Vielleicht weil die Zeit für Gedichte genauso vorbei zu sein schien wie für deren verträumte Musik-Interpretation.
Doch die Zeiten ändern sich - und das vermeintlich Moderne beschert uns eine ungeahnte, unangenehme Hektik, verbunden mit einer Suche nach dem, was wir dafür aufgegeben haben. Eine ideale Voraussetzung für POEMS OF LAILA, wieder zurückzukehren. Und sie sind wieder zurück - aber anders als sie uns verlassen haben.
Tomás setzt diesmal auf die pure Akustik, stark abgespeckt, und - noch viel wichtiger - natürlich seine neue Partnerin JOANNA GEMMA AUGURI, eine in Berlin lebende, polnische Musikerin, die mit ihrem Akkordeon und ihrer zarten Stimme den POEMS FOR LAILA eine besondere, bis dato völlig unbekannte Note hinzufügt. Bei den poetischen, oft ironischen, aber auch provokativen und immer gelungenen Texten bleibt allerdings alles beim Alten. Die Stärke der POEMS FOR LAILA hinterlässt uns beim Hören von „Tik Tak“ das Gefühl, als wäre die Band, welche nun auf ein Duo geschrumpft ist, nie fortgewesen.
Nun also verleihen eine alte Zirkustrommel, ein Akkordeon, Gitarren sowie digitale Loops und natürlich zwei bewegende, charismatische Stimmen den lyrisch beeindruckenden Liedern ihr klingend buntes Gewand, das sich zwischen akustischem Singer/Songwriter, etwas Bar- oder Club-Jazz, Pop und Folk, aber auch ein paar lauteren, flotteren Rhythmen bewegt. Wobei manchmal der Wunsch aufkommt, dass die beiden ihr Musik-Korsett noch etwas mehr lockern würden, wie es ansatzweise bei dem E-Gitarren-Tupfer von „Fuckers“ geschieht.
Im Mittelpunkt der Musik dieses deutsch-polnischen Duos aber stehen tatsächlich die Texte. Ein „wahre Frechheit“ in Zeiten, in denen kaum noch jemand richtig hinhört, weil er glaubt, digital vernetzt zu sein, ohne zu bemerken, dass dies keine Vernetzung mehr, sondern eine Überflutung ist. Doch dafür gibt es ja die Axt auf „Tik Tak“, die auf und im Booklet häufig auftaucht, so als wolle sie diese Kabel, an denen wir hängen, immer wieder kappen. Selbst <a href="https://vimeo.com/154352935" rel="nofollow">das absolut sehens- und hörenswerte Video zu „Tik Tak“</a> macht daraus keinen Hehl: „Like a tiktiktak / Love is in stock / But the story loose its way“.
„Spaceship“ beginnt dagegen wie ein versoffener TOM WAITS-Song und entwickelt sich zu einem seltsam sphärischen Space-Liedchen, das dem allseits beliebten E.T. auf seinem Wege „nach Hause“ sicher viel Freude bereitet hätte: „I don‘t know / There‘s no time to hesitate / Cause aliens on my knees“.
Und so würde man zu jedem der insgesamt 11 Lieder ein schönes Zitat, eine beeindruckende Zeile oder eine rundum gelungene Geschichte entdecken, die in Form einer Ballade erzählt bzw. gesungen wird. Am Ende gibt‘s aber immer wieder diese eine Botschaft zu entdecken, welche sich auf der Digi-Pack-Rückseite noch auf ein „Fuckers“ beschränkt, im Booklet aber „Shoot All Fuckers Down“ heißt und massiv zum Angriff gegen all diejenigen bläst, die uns dieses Leben mit ihrem permanenten Dünnschiss, den sie uns Tag für Tag in unsere Köpfe zu kacken versuchen, immer schwerer machen. Da darf dann sogar einmal kurz eine richtig böse klingende E-Gitarre das Feuer eröffnen und zwar auf: „die Idioten, die in ihren Kirchen predigen“, „die Herrscher, welche Länder unterwerfen“, „die Könige und Königinnen der Klatsch- und Tratsch-Gesellschaft“, „die faselnden Quatschköpfe aus Funk und Fernsehen“, „die Porno-Geilen“, „die Shitstorm-Zeitgenossen“, „die Rassisten“ und viele mehr. Alle, wirklich alle sind sie auf dem Album zu finden - doch Vorsicht, unsere Zeit läuft ab „Tik Tak“ - und ganz im Stillen lauert bereits der Axt-Mörder.
Oder ist es doch unser Befreier?
POEMS FOR LAILA haben darauf zwar keine Antwort, aber viele Lieder, die uns zu einer verhelfen könnten.
FAZIT: „Tik Tak“ - die Zeit ist reif für „Tik Tak“ von den POEMS FOR LAILA, selbst wenn die sich stärker musikalisch beschränken, als sie es bisher je getan haben. Dafür aber bekommen ihre Texte ein deutlich stärkeres Gewicht.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 16.03.2016
Niolai Tomás, Joanna Gemma Auguri
Niolai Tomás
Niolai Tomás
Joanna Gemma Auguri (Akkordeon)
Baboushka Records / Broken Silence
48:53
18.03.2016