Innovationsbegierig sind TEXTURES ja schon irgendwie, aber dann doch eher auf der Mikrofaserebene und nicht bei der Komplettrenovierung. Ihr Sound ist ein unverkennbar handgewobener (mit Blick auf den nicht umsonst gewählten Bandnamen kann man ihn als „texturiert“ bezeichnen). Kaum eine Gruppe in dem von Poly- und Math-Metal inspirierten Fach musiziert so dicht, so nah an den berüchtigten DEVIN TOWNSEND-Schichtsalaten, weil wohl keine so sehr von der Neigung zur Lückenfüllung beherrscht wird. Wenn also im Hause der Niederländer etwas Neues ausprobiert wird, dann muss deswegen noch längst nicht der feine Teppich der Vorgängerplatten aufgerissen werden; man kann ja auch einfach mal ein neues Muster am Rand der Patchworkdecke ausprobieren.
Das geschieht im – möglicherweise dem gegenwärtigen Doppelalben-Zeitgeist nacheifernden – ersten Teil des Doppeldeckers „Phenotype“ / „Genotype“, der im nächsten Jahr mit weiterer Musik vervollständigt werden soll.
Zu typischen Konzeptmerkmalen wie etwa einem Klimper-Intro lässt man sich dennoch nicht hinreißen. Hier geht’s von Sekunde 1 an mit wütendem Gebrüll und fiesen Schreddereien los, später abgelöst von cremigen Passagen des Wohlklangs. Abgesehen vom trippigen Schlagzeug-Medley „Meander“ ginge „Phenotype“ als typische TEXTURES-Scheibe durch, so wie eben auch „Dualism“ zuletzt eine war – nach außen hin geschlossen und nicht unbedingt eine Fortsetzung andeutend. Ein Album wieder mit durchaus eigenem Charakter, der sich durch bestimmte Clean-Melodien und sich ins Ohrwerk einnistende Polyrhythmik-Strukturen ergibt, aber eben doch materiell betrachtet wieder typisches Webmeister-Werk mit den altbekannten Merkmalen darstellt.
Das ist definitiv die gute Nachricht, denn wie viele Musiker haben sich an Doppelkonzeptalben schon verhoben, indem sie sie mit Nichtigkeiten und Füllmaterial aufgeplustert haben. Das immerhin geschieht hier nicht; „Phenotype“ zeigt sich völlig unbeeindruckt davon und erweist sich ebenso wie seine Vorgänger als strukturiert und songlastig. Mal hart („Erosion“), mal zart („Zman“), Neo-MESHUGGAH-esk („Oceans Collide“) oder episch („Timeless“). Und Daniel De Jongh schwimmt stets zielsicher mit heiserer Stimme als Host durch die wütend-schaumigen bis klaren Gewässer.
Andererseits erschließt sich die Notwendigkeit des „Genotype“-Nachklapps in einem Jahr zu diesem Zeitpunkt noch nicht so recht, wenn „Phenotype“ für sich alleine auch ganz gut steht, ohne sich jedoch in irgendeiner Weise eklatant von der bisherigen Diskografie zu unterscheiden. Wie würde es wohl wirken, hätte man beide Teile ähnlich wie PERIPHERY zuletzt zum gleichen Zeitpunkt veröffentlicht? Eine hypothetische und damit diskussionsunwürdige Frage, die jedoch aus einer gewissen Ratlosigkeit resultiert, mit der man „Phenotype“ nun entgegentritt. Denn die von A bis Z durchdachten Klangmuster mögen kaum Leerläufe kennen, sind in ihrem Wesen von der Band jedoch seit nunmehr 15 Jahren bereits bestens bekannt und somit keine besondere Überraschung mehr.
FAZIT: Nach fünf Jahren mal wieder ein Mundvoll saftigen Progmetals von originaler TEXTURES-Wertarbeit. Wer das schon immer mochte, wird wieder gut bedient. Verändert haben sich in dieser Zeit nämlich nur Nuancen. Andere sind im Ausprobieren auf weitem Raum schon viel weiter, dieses Sextett nimmt sich lieber eine kleine Fläche vor, um diese unermüdlich mit doppeltem und dreifachem Anstrich zu veredeln. So weit also alles beim Alten. „Genotype“ wird dann zeigen, ob sich darüber hinaus noch eine weitere Perspektive auf das eher typische „Phenotype“ ergeben wird, es deutet aber nicht viel darauf hin.
Punkte: 10/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 13.03.2016
Remko Tielemans
Daniel De Jongh
Joe Tal, Bart Hennephof
Stef Broks
Uri Dijk (Synthesizer)
Nuclear Blast
43:55
05.02.2016