Heavy-Metal-Fans übersetzen den Albumtitel vielleicht instinktiv mit „roher Gewalt“, doch Mathematiker und Hacker haben eine etwas andere Vorstellung davon, was sich Rémi Gallego hier gedacht hat. Auch mancher Grafik-Adventure-Spieler kennt die „Brute Force“-Methode aus eigener Erfahrung: Man steht vor einem Kombinationsrätsel, ist zu faul, um einen logischen Lösungsweg zu finden und probiert einfach mal alle erdenklichen Kombinationen aus.
Bei einem Projekt wie THE ALGORITHM darf man wohl davon ausgehen, dass der Mathematiker und der Hacker schon mal nicht auf dem Holzweg sind. Doch auch der Heavy Metaller liegt mit seiner schlichten Interpretation nicht ganz falsch; wo der Vorgänger „Octopus4“ schließlich geradewegs chillig ausfiel und milde Elektronika zum Löwenanteil erklärte, nähert sich „Brute Force“ wieder dem offiziellen LP-Debüt „Polymorphic Code“ an.
Was bedeutet, dass die Stücke wieder vermehrt von harten Gitarrensamples durchzogen sind. Samples deswegen, weil sich Gallego nach wie vor zu seiner digitalisierten Art des Musizierens bekennt und seinen Laptop mit aufgespielter DAW-Software auf Konzerten ganz selbstverständlich bedient wie ein herkömmliches Instrument. Dennoch spielt seine Gitarre diesmal wieder eine entscheidende Rolle. Obwohl der Elektro-Part mit dem spannenden Wechsel komplexer IDM-Figuren, entspannender Ambient-Lagen und treibender Drum’n’Bass-Abschnitte wiederum für sich stehen könnte, verleiht der schneidende Klang einer tief gestimmten Gitarre dem Album erst seinen Druck, der auf „Octopus4“ manchmal gefehlt hatte.
Dass die oft gestückelt wirkenden Samples des Instrumentes dem Palm Muting aus dem Djent-Bereich ähneln, lässt THE ALGORITHM auch weiterhin stark in diese Richtung pendeln und entlarvt umgekehrt bei der - insbesondere im traditionelleren Metal-Fach - umstrittenen Prog-Metal-Unterart die Affinität zum elektronischen Gebiet. Stimmt Gallego dann mal ein Solo ein, wirkt der Kontrast zur rhythmischen bis asymmetrischen Computeruntermalung regelrecht wie ein Augenöffner, beispielsweise nachzuhören in „Floating Point“ oder „Rootkit“.
Starke Motive prägen also wieder die Kompositionen, selbst wenn die Gitarre mal pausiert, was dann doch mal vorkommt. Es gibt Momente auf „Brute Force“, da verirrt man sich als metal-affiner Hörer so tief ins Elektronische, dass man plötzlich auf einer Tanzfläche aufwacht und sich in einer Welt glaubt, die man doch eigentlich nie betreten wollte. Man könnte also sagen, THE ALGORITHM zeigen einem in gewisser Weise die Grenzen der eigenen musikalischen Offenheit auf.
Ein paar Verrücktheiten lassen sich als Dreingabe auch noch finden: So beginnt „Deadlock“ unter Beteiligung des Gleichgesinnten und Baroquore-Death-Hop-E-Xperimentalisten IGORRR mit Restaurantlobby-Muzak und mausert sich dann zum mitunter härtesten und verzerrtesten Stück – wäre da nicht der „Hard Mode“ der „Polymorphic Code“-Komposition „Tr0jans“, die ihre Bestandteile am Ende regelrecht grotesk rotiert und keiner vernünftigen Struktur mehr gehorcht.
FAZIT: Der etwas flügellahme Vier-Bit-Oktett-O-Pus vom Vorgängeralbum wird mit dynamischen Songverläufen und einem spannenden Mischverhältnis verschiedener elektronischer Strömungen und gewissen Härten aus dem Metal-Bereich überholt, an „Polymorphic Code“ wird indes nahtlos angeknüpft. THE ALGORITHM stellt immer noch seine eigene Nische dar und empfiehlt sich damit nur jenen, die elektronische Tanzmusik nicht völlig ablehnen, auch wenn bei weitem nicht alles auf „Brute Force“ tanzbar ist, alles jedoch ziemlich ausgetüftelt.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 20.03.2016
Rémi Gallego
Rémi Gallego (Elektronika)
FiXT
47:23
01.04.2016