Willkommen bei der akrobatischen Variante des Progressive-Rocks! Hier wird komplexe rhythmische Gymnastik gegeben, ohne Bandagen wüst gekämpft, Metal auf Prog geschlagen und in den Pausen zu PINK FLOYD-nahen Klängen entspannt („Voiceless in The Dim“ – nicht Gym!).
Furiose Frickeleien, offensives Voranpreschen und innige Momente der Kontemplation wechseln sich ab, ergeben ein großes Ganzes aus dem Traumlabor der Mitwirkenden. Denn die Träume der Bandmitglieder verbinden sich zu einer etwas abstrusen Geschichte, die in etwa so klingt wie eine „Dr Who“-Episode, in der der Doctor seine Tardis, Erinnerung und die Fähigkeit zu kommunizieren verloren hat. Die Höchststrafe also. Dann begegnet er Rattenwesen, beginnt wieder vorsichtige Unterhaltungen, erkennt, dass er (und alle Menschen) mit einem Paralleluniversum kollidiert sind, welches die klugen Ratten herübergespült hat. Schuld an dem ganzen Tohuwabohu ist ein alter Mann in einem Heißluftballon. Wer auch sonst?
„Dr Who“ heißt im vorliegenden Fall Jonpers, und er macht sich auf die Suche nach dem agilen Senior im Ballon. „Crossing The Divide“, um es wörtlich zu nehmen. Aus diesem Wust an Erzählsträngen bastelten die Musiker erst einzeln einen musikalischen Rahmen, der später gemeinsam ausformuliert wurde. Das Ergebnis ist schräg, versöhnlich, wild und höchst abwechslungsreich.
Jonpers turnt durch Zeit und Raum und verdient sich damit bei den intergalaktischen Punktrichtern eine hohe Note. Gelegentlich zerfasern seine Übungen ein wenig, doch das machen er und seine musikalische Begleitung mit Charme und Charisma wett.
TOOL, COHEED & CAMBRIA (eher für die inhaltliche B-Note zuständig) nicken anerkennend mit den Lockenköpfchen, während THE MARS VOLTA nölen, dass man auch noch etwas radikaler in die Kür hätte gehen können. Muss nicht sein, denn das Album ist herausfordernd genug und dabei ziemlich stimmig. Mehr wäre Pornographie, die sich selbst genug ist.
Wer beim knapp viertelstündigen Finale einen überbordenden Longtrack erwartet, sollte die Schnappatmung einstellen. Der 'Titel' "(…)" ist verräterisch genug. Hier bekommt man – bei weit aufgedrehter Lautstärke – den Sound von LP-Kratzern, vor-und rückwärtslaufende Klangcollagen, den Windhauch in einem Rattenloch geboten, bevor für zwei Minuten wieder Musik ertönt. Die scheinbar auf einen Kollaps zuwankt, aber in der Einsamkeit der Geräuscherzeugung verendet.
Ich empfehle lieber das „Berberian Sound Studio“ als diesen verkappten Hidden Track, der die musikalische Laufzeit des Albums auf immer noch stattliche fünfundsechzig Minuten drückt.
FAZIT: THE BENZENE RING präsentieren „Crossing The Divide“ als ein Werk, das in gemeinschaftlicher Traum-, Aufbau- und Abrissarbeit in die Vollen geht. Aggressive Lärmattacken, fließende Sehnsuchtsmomente zwischen PINK FLOYD und PORCUPINE TREE, kontrolliertes Chaos und ein bisschen Collagenkokolores zum Schluss: Die Band aus Brooklyn besitzt ein breites Spektrum, das gekonnt mit Leben gefüllt wird. Ganz egal, ob man die zugrundeliegende Story um Jonpers, den Kommunikationsforscher zwischen diversen Welten, für verquaste oder krass komplexe Dichtkunst hält.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 04.09.2016
Daniel Gunnard Beamish Gibson
Jeff Aldrich, Eric Hertenstein
Hwarg, Jeff Aldrich, Eric Hertenstein
Eric Hertenstein
Jeff Aldrich
Eigenpressung/Just For Kicks Music
77:31
22.07.2016