Ein Album mit traditioneller Folk-Musik aus deutschsprachigen Landen, das – nennen wir‘s mal so – sicher nicht viele unter unserer Seite ansprechen oder interessieren wird. Aber wir verstehen uns ja längst als eine Musikseite, die alles Musikalische ankratzt, was in gewisser Weise interessant ist, aber viel zu oft übersehen und überhört wird. Und das findet eben nicht nur im Metal, Prog und Rock statt, sondern auch in vielen anderen genauso interessanten Musik-Stilen vom Jazz bis zum Folk, internationalem und muttersprachlichem, aber auf keinen Fall „völkischem“ Liedermachertum oder der Elektronik bis zum Minimalismus. Metaller und Freigeist treffen bei uns jedenfalls aufeinander.
Darum kommen wir heute mal unserem musikalischen Bildungsauftrag nach und informieren hier über ein CD-Projekt der Initiative PROFOLK, dem Verband für Lied, Folk und Weltmusik in Deutschland, der mit „Auf‘s Maul geschaut“ deutschen Folk vorstellt, welcher grundsätzlich im Dialekt vorgetragen wird. Was sich dahinter verbirgt und eine ausgiebige Biografie aller beteiligten Bands von E wie EM HUISKEN bis Z wie ZIGANIMO findet man zusätzlich im sehr informativen 12seitigen Booklet, das zum Glück in hochdeutscher Sprache, aber nicht im Dialekt verfasst wurde.
Auch wenn der Kritiker dieser Zeilen nicht besonders viel mit LUTHER am Hut hat, den man deutsch-banal permanent als großen Reformer darstellt und ihm ein ganzes Ehrenjahr bei uns widmet, während man komplett dabei ausblendet, dass er zugleich ein übler Antisemit war, auf den sich Judenhasser Hitler auch als Rechtfertigung seines Holocausts immer wieder berief.
Musste wirklich ein Ausspruch von ihm diesem Album seinen Titel verleihen?
Wobei natürlich der größte Witz ist, dass sich sogar ein Lied von ZIGANIMO mit dem Namen „Shpil she mir a Lidele in Jiddish“ darauf befindet.
Wenn das der LUTHER wüsste!
Der PROFOLK-Sampler jedenfalls ist aus Anlass des 30jährigen Bestehens dieses Projekts veröffentlicht und enthält 16 Titel von 12 Bands. Dabei lernen wir unterschiedliche regionale Musik-Kulturen kennen, die von richtig spannend (HÜSCH!) bis extrem nervend (STEFAN STRAUBINGER) reichen. Auch zwischen Anspruch und Albernheit bewegt sich die Musik. So gesehen ist für jeden etwas dabei, aber garantiert wird auch jeder etwas auf diesem Sampler nicht mögen. Wohl gerade aus diesem Grunde stellen die Sampler-“Macher“ auch eindeutig fest: „Die CD stellt das Lied in den Mittelpunkt des Hörbaren. Anders als die traditionellen Tanzmusiken war das Lied das eigentliche Medium des Folk in Deutschland seit den 1970er Jahren. Mit dem Lied kann man Geschichten erzählen, politische Meinungen ausdrücken, zum Handeln aufrufen, Gemeinschaft zelebrieren. Genau das will Folkmusik.“
Jau, nur der gute Luther wollte das so eigentlich nicht und wenn man jemandem auf‘s Maul schaut, dann bitte dem Richtigen.
Die Musik des Samplers allerdings ist über jeden Verdacht erhaben. Auch dass die Friesen nicht nur für (Ost-)Friesenwitze herhalten müssen, sondern im nördlichen Teil als KALÜÜN sogar den „Preis der deutschen Schallplattenkritik“ einheimsten, ist bemerkenswert, denn ihre Musik, die auf dem Sampler gleich mit zwei Songs vertreten ist, wird nicht nur in friesischer Sprache, sondern auch breit instrumentiert mit Gitarre, Violine, Mandoline, Bouzouki und Cello vorgetragen.
Allerdings frage ich mich ganz traurig, warum das so einzigartige Sächsisch nicht auf diesem Sampler vertreten ist.
Hat das was mit Pegida zu tun?
Obwohl, zu Luther würd‘s eigentlich passen!
Do bleebt ‘m ollen Sochsen im Jrunde om Önde nur een FOZIT übr‘sch:
Entdeckungen gibt es garantiert jede Menge auf diesem Sampler.
Einzige Voraussetzung, man wagt auch einen Blick über den hart rockenden oder weich poppenden Tellerrand und widmet den vertretenen Musikern lieber Ohr und Hirn, anstatt ihnen nur aufs Maul zu schauen.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 22.09.2016
Bluebird Cafe Berlin Records
64:54
18.03.2016