Ach ja, es weihnachtet schon wieder sehr und die Regale in den Supermärkten laufen mit Verlockungen und Verführungen über, die uns bereits jetzt, genau einen Monat vor diesem Fest, schon wieder das Geld gehörig aus der Tasche ziehen sollen.
Gleiches gilt natürlich auch für die Regale der Media- und Technik-Märkte, die ganze Reihen mit CDs ausgeräumt haben, um uns die ewig gleichen, jedes Jahr erneut präsentierten Weihnacht-Sampler unterzujubeln für ein angeblich besinnliches Weihnachtsfest. Bei mir jedenfalls käme es zu keinerlei Besinnlichkeit, wenn ich die Helene-Fischer-Weihnachtsschrecken ertragen müsste, die‘s nun sogar mit beigelegter DVD gibt. Ach, du armes Christus-Kind, für welchen Scheiß du doch alles herhalten musst!
Aber es gibt auch immer wieder Entdeckungen, die wir vor diesem Fest – das auch musikalisch wirklich nicht ein- und gleichtönig sein muss - in dem Haufen all der recycelten Besinnlichkeitsscheiße machen können. Zu einer der größten gehört dabei garantiert <a href="https://www.bear-family.de/various-big-city-christmas-30-groovin-and-croonin-christmas-tunes-cd.html" rel="nofollow">„Big City Christmas“ von Bear Family Productions</a>. Denn es ist die weihnachtliche Reise mit einer Musik-Zeitmaschine zurück in die 40er-, 50er- und 60er-Jahre, dokumentiert in insgesamt 30 (!!!) Songs und ausgiebig kommentiert im dazugehörigen 12seitigen Booklet, in dem die Hörer mit folgenden englischen (vom Kritiker dieser CD übersetzten) Worten begrüßt werden:
„Wir stellten diesen außergewöhnlichen Sampler zusammen, um euch ein ganz besonderes Hörvergnügen zu Weihnachten zu bereiten. Seht dies als das Gegenstück zu all dem weihnachtlichen Billig-Mist an, mit dem man euch in den Supermärkten überschüttet. Wir hoffen, ihr habt viel Freude an der Musik und wünschen euch frohe Weihnachten und ein glückliches neues Jahr!“
Und natürlich beginnt die Freude schon, wenn man diese wirklich besinnlichen Songs hört, die durchaus auch mal rockabilly-rollen und swingen, doo-woppen oder soulen können. Man fühlt sich beim Hören in einen alten – meinetwegen etwas schmalzigen amerikanischen – Liebesfilm zur Weihnachtszeit versetzt, der einem völlig andere Gefühle als die heutigen vermittelt, was auch daran liegt, dass zu dieser Zeit an keine Computer und schon gar nicht Tablets oder Smartphones zu denken war. Auch wurden in der Musik die Stücke direkt aufgenommen – und es ist verblüffend, in welch guter Qualität sie bei diesem liebevoll zusammengestellten und remasterten Sampler vorliegen.
Die pure Weihnachtsnostalgie erwartet einen, gepaart aus legendären Weihnachtshits von Doris Day über Dean Martin bis Chuck Berry u.v.m., denen zugleich einige echte Weihnachtsraritäten gegenüberstehen, wie Cathy Sharpe, The Woods und Patty Surby oder rare alternative Aufnahmen, von denen einige bisher unveröffentlicht waren, wie beispielsweise von der weltberühmten Eartha Kitt, aber auch Ricky Nelson oder The Holly Twins, bei denen sich Eddie Cochran an der Gitarre auszeichnete.
Als besonderes Kuriosum wünscht uns sogar Ann-Margret, bekannte Schauspielerin, Sängerin und vor allem Sex-Symbol – die wir übrigens auch im bereits erwähnten, umfangreichen Booklet bewundern dürfen – ein leidenschaftliches Weihnachtsfest anno 1966, nachdem uns zuvor aus dem Jahr 1957 Frankie Lymon mit dem besinnlichen „Silent Night“ in anheimelnde Weihnachtsstimmung brachte.
FAZIT: Das „jüngste“ Weihnachtslied von „Big City Christmas“ ist genau 50 Jahre, das „älteste“ gut 68 Jahre alt – und es ist kaum zu glauben, aber die Musik klingt wunderbar frisch. Das liegt besonders daran, dass sie garantiert nicht in das vorweihnachtliche Gedudel unserer Radiostationen verfällt und uns im öffentlichen Raum mit schwülstiger Dauerbeschallung überfällt.
Wer solche Musik hören und dabei nicht gequält werden möchte, muss tatsächlich diese CD von Bear Family Productions in seinen heimischen Player schieben – und schon kommt ein Weihnachtsgefühl der „anderen akustischen Art“ auf, das zwar offensichtlich etwas mit dem anglo-amerikanischen Fest zu tun hat, aber auch in unseren Breiten garantiert liebevoll geöffnete Ohren findet. Denn eins muss man den Amis eben zugestehen: Sie lassen Weihnachten nicht zu einer volkstümlichen Schlager-Veranstaltung verkommen, sondern warten mit Melodien ohne übertriebenen Pathos oder extremen Peinlichkeitsfaktor auf. Vergesst Helene Fischer – hier kommt Nostalgie pur!
Erschienen auf www.musikreviews.de am 24.11.2016
Bear Family Productions
70:29
18.11.2016