Wenn eine Musik-Show schon mit dem Echo, dem deutschen Musikpreis und dem Bambi ausgezeichnet wurde sowie die ersten zwei Staffeln auf CD sofort die deutschen Album-Charts stürmten und Platz 1 belegten, dann kommen auch wir kaum noch drumherum, dieser hier nicht nur etwas Aufmerksamkeit, sondern auch eine komplette Review zu widmen. Auch ist das hier ja nicht der RTL-DSDS (Dünnschiss sucht Dünschiss-Superstar) Kackbrazen-Sangeswettbewerb, sondern eine durchaus ernstzunehmende VOX-Musik-Serie, bei der Musiker Musiker covern und in ihren Versionen auch einen gehörigen Eigenanteil mit einbringen sollen. Es geht eben nicht ums Nachsingen, sondern um die eigene Interpretation eines fremden Hits. Und unser aller XAVIER NAIDOO, der durchaus auch mal zu Reichsbürgern spricht, lädt die vermeintlichen deutschen Stars nach Südafrika ein, obwohl keiner von denen etwas mit Reggae am Hut hat. Hier gibt‘s viel Pop, etwas Soul, Country und Rap auf Deutsch, Englisch und Kölsch.
Aber bitte keine Vorurteile!
Schließlich haben das, was die Grundidee hinter „Sing meinen Song - Das Tauschkonzert“ ist, bereits auch ein PETER GABRIEL oder GOV‘T MULE und viele andere namhafte Musiker praktiziert, indem sie ihre Songs von anderen Musikern interpretieren ließen und im Gegenzug deren Songs selber auf ihre Art nachspielten. Nichts anderes also als ein musikalischer „Tauschhandel“, der in Deutschland auf Initiative von XAVIER NAIDOO besonders intensiv betrieben wird und nunmehr bereits in die 3. Runde geht. Auch ist der Name einer der beteiligten Musiker unter unseren Seiten sehr bekannt und intensiv besprochen, sodass auch wir ein wenig bedeppert dreinblicken, wenn wir lesen, dass Ober-BAP WOLFGANG NIEDECKEN sich an dieser Form des lieder(lichen) Kuhhandels beteiligt.
Übrigens heißt das Motto dieser Musik: „So haben Sie die Stars noch nie gehört!“ - ein Scheiß-Motto!
Natürlich haben wir die allesamt schon so gehört.
Egal, ob sie nun eigene oder Cover-Songs feilbieten. Die Musiker machen genau das, was jeder andere Cover-Künstler auch macht. Sie schnappen sich den Song eines anderen Musikers und bieten ihn so feil, als wäre es ihr eigener. Deswegen bekommt die piepsige Stimme einer ANNETT LOUISAN auch nicht plötzlich mehr Volumen oder XAVIER NAIDOOs mehr Tiefe oder ein dreckiges Punk-Knarzen.
Ist es nicht eigentlich bedenklich, dass sich genau so ein Format immer mehr etabliert, während die Kreativität unzähliger anderer deutscher, unbekannterer, aber um Längen besserer Bands im TV (und auf den dann daraus folgenden CD-Veröffentlichungen) einfach ignoriert wird? Mir fällt da im Grunde nur „TV Noir“ ein, welche ihrer Aufgabe nachkommen und interessante Musik im TV - aber nur einem Spartenkanal - anspruchsvoll, intelligent und ausgiebig vorstellen.
Ja, es gibt an jedem zugekackten Horizont glücklicherweise immer einen zarten Sonnenstrahl.
So war das größte Ereignis der dritten „Sing meinen Song“-Serie bei VOX der Ärger zwischen BOSSHOSS und SAMY DELUXE, weil der gute Rapper unbedingt eine kleine Provokation gegen BOSSHOSS abschießen musste, indem er sie mit SCOOTER in Verbindung brachte. Drauf geschissen! Solchen Dreck braucht höchstens der Fernsehsender, um wieder etwas mehr Aufmerksamkeit auf eine Sendung zu lenken, in der sich angeblich sonst immer alle so schrecklich lieb haben und sich soooooo sehr achten.
Das dämpft die Einschalt-Quote.
Stänkerei erhöht sie.
Ganz schlimm ist es aber, wenn eine NENA euphorisch eine ANNETT LOUISAN lobt und man sich beim Hören der Doppel-Deluxe-CD ernsthaft fragen muss, was denn da mit den NENA-Ohren los ist, die sie zuvor doch bereits auf ihrer Suche nach „The Voice Of Germany“ immer wieder spitzte.
Dieses unglaublich dünne Stimmchen-Wunder ANNETT LOUISAN erscheint mir auch heute noch wie der singende Witz schlechthin. Denn irgendwie klingt sie bei „Nur geträumt“ wie ein Kindergarten-Kind, das man auffordert, mal ein Lied von NENA mit Bandbegleitung zu singen. Und dann nimmt sie dem Song auch noch jegliches Tempo und macht ihn zu einem weichgespülten Pop-Erguss, der, wenn er überhaupt noch irgendwo hingeht, dann frontal in die Hose. Noch schlimmer wird es aber bei dem SEVEN-Cover, wo sie Englisch singen muss, was sie nur mit gruseligem Akzent hinbekommt. Dazu gibt‘s Bläser, die besser zu Sandmännchens Gute-Nacht-Musik gepasst hätten.
SAMY DELUXE schafft es dann tatsächlich aus einem Kult-Stück von BAP, das mich noch zu DDR-Zeiten permanent begleitete und zugleich glücklich wie nachdenklich machte, eine Rap-Version wie ein Zorro ins Mikrofon zu kacken! „Kristallnacht“ hat das nicht verdient. Noch schlimmer, wenn ich demnächst das Original höre, dann werde ich an diesen Rap-Schwachsinn denken müssen. Dass er etwas später von der guten Louisan „Stell dir vor das unten oben ist“ runternudelt, stört dagegen überhaupt nicht. Das passt!
SEVEN sind insgesamt eine positive Überraschung - vielleicht weil sie die unbekanntesten Vertreter dieses Musik-Tauschhandels darstellen, denn ihre Songs tragen neben dem Pop auch sehr viel Soul und etwas Funk und Swing in sich. Das geht in Ordnung. Genauso wie die Beiträge von XAVIER NAIDOO, NENA und THE BOSSHOSS, die mit viel Routine und deutlich weniger Leidenschaft ihre Cover-Versionen vortragen.
Doch einer ist hier noch übrig: die graue Eminenz der Sendung, der wahrscheinlich glaubt, seine ehemaligen Kaugummi-Bilder gegen die Musik-Glitzerkärtchen seiner Tauschpartner handeln zu können.
Das musste einfach schief gehen und es geht schief.
Nicht nur dass er BAP-Klassiker, wie „Kristallnacht“, „Verdammt lang her“ (Schrecklicher als die von ANNETT LOUISAN gesungene Version geht‘s nicht mehr!), „Du kannst zaubern“, verramscht, sondern auch sein Gesang, wie beispielsweise auf NENAs „Liebe ist“, klingt dermaßen dünn und schief, dass sich einem die Fußnägel hochrollen und der Song ausschließlich durch einen gelungenen Saxofon-Part gerettet wird.
Dass er, der sonst nur im kölschen Dialekt singende Musiker, sich dann auch noch nach einem Applaus für seine kölsche Version von Naidoos „Was wir alleine nicht schaffen“ mit „Thank you! Good night!“ vom Publikum verabschiedet, schlägt dem Fass den Boden aus.
Nur am Ende muss Niedecken diese Selbst-Erniedrigung ausschließlich mit sich selbst ausmachen. Aber was soll‘s - im Falle von „Sing meinen Song - das große Tauschkonzert, Volume 3 (Deluxe Edition)“ hat er für sein Meißner-Porzellan-Service ein paar Papp-Teller und Kunststoff-Becher bekommen. Geiler Tausch, ey! Danke, Alter! Danke, VOX! Danke! Ich geh dann mal kacken! Vielleicht hat SAMY DELUXE ja einen passenden Klopapier-Rap dafür!
FAZIT: Darf man Scheiße Scheiße nennen? Nein, aber tauschen darf man sie! Bestimmt wird auch dieses Album wieder auf den ersten Platz der deutschen Charts landen. Herzlichen Glückwunsch! Format-Musik für‘s Format-Fernsehen und formatierte TV-Glotzer, für die NINA HAGEN bereits vor über 30 Jahren den richtigen Song geschrieben hat, den sie garantiert mit niemandem tauschen würde!
Erschienen auf www.musikreviews.de am 28.04.2016
XN-Tertainment
106:57
29.04.2016