In Schweden haben VITA BERGEN bereits jede Menge Vorschuss-Lorbeeren und Anerkennung gesammelt. Ja, man kann fast behaupten, sie treffen dort mit ihrem sehr abwechslungsreichen Indie-Rock, der neben ARCADE FIRE auch an THEY MIGHT BE GIANTS, eine der umtriebigsten Bands der 80er/90er-Jahre, welche einen wilden Stil-Mix zu Alben verbanden, die immer un- und außergewöhnlich waren, schwarzhumorig daherkamen und durch wilde Effekte und Stimmungswechsel verblüfften, genau den schwedischen Zeitnerv. Gleiches in punkto musikalischer Ausrichtung gilt auch für dieses schwedische Duo, das live allerdings grundsätzlich als Oktett auftritt und mit mehreren Keyboardern, Gitarristen und einer Violine agiert. Das ist bei der Vielzahl kompositorischer Ideen von Sänger Hellström und Gitarrist Jallinder auch zwingend notwendig. Denn die Wall Of Sounds erwartet uns hier genauso wie elektronische Pop-Verrücktheiten oder krachende Indie-Gitarren und zarte, fast filigrane, akustische Momente, die ganz vorsichtig durch unsere Gehörgänge schweben, so als bestünde die Gefahr, dass sie daran wie hauchdünnes Glas zerbrechen.
Die Mischung macht‘s eben bei VITA BERGEN aus, die nach zahlreichen ausverkauften Konzerten in Deutschland, Spanien, der Schweiz und Skandinavien in Schweden bereits als eine der Bands gilt, über die am meisten gesprochen und die als das nächste ganz große Ding gehandelt wird. Nur sollte es dazu mehr als 28 Minuten Spielzeit für eine Debüt-CD und eine EP, auf der bereits einige der Songs enthalten sind, bedürfen. Die musikalisch-kompositorischen Ideen jedenfalls würden locker für die doppelte Laufzeit reichen und immer noch spannend sein. Nicht die Musik ist ein fetter Minuspunkt auf „Disconnection“, sondern die unverschämt kurze Laufzeit von 28 Minuten, für welche es selbst durch die Tatsache, dass es dieses Album auch auf Vinyl gibt, keinerlei Rechtfertigung gibt. VITA BERGEN scheinen nicht nur als etwas exzentrisch zu gelten, sie sind es wohl auch. Das tut der Musik gut sowie den abgefahrenen Texten und der Cover-Gestaltung ebenso, dem weiteren Drumherum - zu dem ich auch die Produktion und den Sound rechne - leider nicht so sehr.
In einer schwedischen Zeitschrift bezeichnete man den Sänger WILLIAM HELLSTRÖM von seiner Ausstrahlung her als einen „Sektenführer auf Speed“, womit auch dieses Hippie-Gefühl zum Ausdruck kommt, welches sich beim Hören von „Disconnection“ auf so angenehme Weise immer wieder breit macht. Man riecht beim Hören förmlich die Joint-Schwaden, die einen umgarnen und high machen. „Disconnection“ ist der Ohren-Joint, dem man sich getrost hingeben und zugleich verfallen kann. Auch wenn dessen Wirkung schon nach 28 Minuten vorbei ist. Aber eine der schönsten Zeilen bleibt dabei trotzdem in unserem Kopf hängen - nämlich aus dem fast poppigen „Curtains“: „We only see clear through blind eyes!“ WITTHÜSER & WESTRUPP jedenfalls haben zu Krautrock-Zeiten, die natürlich auch ordentlich bei VITA BERGEN durchklingen, das einfach mit „Nimm doch einen Joint, mein Freund“ zum Ausdruck gebracht. Wirkungsvoll ist jedenfalls beides!
Gleich der erste Song „In The City“ erinnert in den ersten Sekunden an DAVID BOWIES „Heroes“, um dann in einen treibenden CLASH-Punk-Rhythmus überzugehen, bis plötzlich ein Piano fast im Woogie-Boogie-Style eine völlig neuen, komplett unerwarteten Sound-Tupfer hinzufügt. Dieses musikalische System des permanenten Wechselspiels macht das gesamte Album aus, dessen Titel „Disconnection“ sich unter diesem Aspekt sehr deutlich erschließt, denn kaum glaubt man eine Verbindung gefunden zu haben, wird diese abgebrochen und durch eine gänzlich neue ersetzt. So klingt Hellström dann auf „Disconnection“ fast so, als wollte er den U2-BONO imitieren und mit ein paar treibenden Schlagrhythmen in die wohl verdiente Rocker-Rente schicken. Ein musikalisches Bäumchen-wechsel-dich-Spiel ohne Ende, in dem auch mal schwer psychedelische Floyd-Sounds die bunten Blätter fallen lassen oder folkige Wurzeln durchdrücken.
Ja, VITA BERGEN hat viel Potenzial, lässt sich dafür aber leider viel zu wenig Zeit und verschenkt sich damit mehr als es einspart. Trotzdem ein klasse Album.
FAZIT: So also klingt Schwedens „Next Big Thing“ - großer Indie-Rock, ideenreich, exzentrisch, wuchtig, verrückt und viel zu kurz, aber knackig!
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 15.03.2016
Dan Augustsson
William Hellström, Robert Jallinder
Robert Jallinder, Andreas Jallinder
Hampus Bergh, Jakob Kullberg, William Hellström
Gustaf Gunér
Bénédicte Piauger
Glitterhouse Records / Indigo
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04.03.2016