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Wirbeley: Barrierefreie Volksmusik

Stil: Akustischer Folk und jede Menge Spaß

Cover: Wirbeley: Barrierefreie Volksmusik

Aus Dresden gibt‘s gute Nachrichten, die endlich mal nichts mit Pegida oder linken und rechten Dumpfbacken bzw. ständig üble Laune verbreitenden Sachsen zu tun haben. Hier kommt sie - die musikalische Antithese zur allen regionalen Frust-Botschaften. Diese trägt den Namen WIRBELEY und ist „ein musikalischer Basar von kammermusikalischem Feinsinn, Folklore und Improvisation“! So verkünden es jedenfalls die „Dresdner Neuste Nachrichten“. Das wiederum macht neugierig auf diese Dresdner Band und ihr zweites Album mit dem eigenartigen Titel „Barrierefrei Volksmusik“.
Hintergründig humorvoll fragt sich da natürlich der Kritiker, ob es neuerdings eine spezielle Volksmusik für Rollstuhlfahrer und Gehbehinderte gibt. Natürlich ist dem nicht so, aber der Humor und die Tradition spielen bei WIRBELEY und ihrer nicht alltäglichen Musik samt ungewöhnlichem Instrumentarium (Hu Lu Si, Duduk, Kabak, Kemane, Esraj, Singende Säge, Lyra, Zink, Daf, Davul sowie Bratsche, Akkordeon, Trompeten, Hörner und Flöten) eine riesengroße Rolle. Weil das natürlich bemerkenswert ist, setzt dann die auflagenstärkste „Sächsische Zeitung“ noch eins drauf: „Ein rauschendes Fest, vielstimmig, multikulturell und instrumental vielseitig.“ Genau das beschreibt die barrierefrei Volksmusik am besten.

Wer damit noch immer nichts anfangen kann, der sollte sich unbedingt die liebevoll digiverpackte CD besorgen, welche ein schön bebildertes und mit (deutschsprachigen) Hinweisen zu jedem Titel versehenes 24seitiges Booklet, inklusive Vorwort von Dr. Marius Winzeler, enthält.

Eigentlich braucht man nach all den Zitaten kaum noch eine Kritik zu schreiben - es ist ja im Grunde schon alles gesagt.
Doch stopp!
Was passiert denn nun auf „Barrierefreie Volksmusik“?
Und hier steigt nun der Kritiker ein, dem Volksmusik seit seiner Kindheit ein Graus ist, weil ihm einige Musiklehrer mit dieser ausgiebig im Unterricht behandelten, extrem einseitig breitgelatschten Musiksparte fast jede Freude an der Musik nahmen. Ich gruselte mich im Frühtau zu Berge, sah als Knab‘ ein Röslein stehen, das frontal von einer Menge hoch auf dem gelben Wagen überrollt wurde, während über allen Gipfeln Ruh‘ war. Ich brauchte keine barrierefreie Volksmusik, sondern etwas „Undeutsches“, das mich nicht textlich und musikalisch mit einem Tralala quälte. Womit wir wieder bei WIRBELEY wären. Denn hätte es diese Band und die Musik schon zu meiner Kindheit gegeben, vielleicht wäre es einem guten Musiklehrer auch gelungen, mich für die „Barrierefreie Volksmusik“ zu begeistern.

Bevor man die CD zur Hand nimmt, fällt einem das beeindruckende Cover-Bild auf. Auch in dieser Beziehung bleibt Dresden präsent, jedenfalls vom Maler her, dem 2010 verstorbenen Dresdner Friedrich Decker. Das Motiv aber ist die sagen- und märchenumwobene Stadt Samarkand. So reisen wir also mit WIRBELEY zwischen Dresden und Samarkand weltmusikalisch-folkloristisch - zu gut deutsch weltoffen volksmusikalisch - durch die Musik-Geschichte, welche sich zwischen dem 13. Jahrhundert bis zur Gegenwart bewegt. Mal tun wir das im Walzerakt, mal als Polka, dann wieder im kaukasischen Volks- oder im thrakischen Reigentanz. Immer sehnt sich unser Körper dabei nach rhythmischer Bewegung, während uns Hörner und Trompeten, singende Sägen und Geigen sowie viele Schlaginstrumente und vieles mehr ordentlich einheizen.
Oftmals durchweht die Musik auch ein Hang zur Erotik, wenn beispielsweise in „Under der Linden“ ein Text von Walther von der Vogelweide (Allein der Name dieses Klassikers hat schließlich schon echtes Sex-Appeal!) erotisch entrümpelt wird: „Tandaradei!“ Beim folgenden „Embaxata A Mon Ami“ läuten einem katalanischen Geliebten gehörig die Glocken, während seine Liebste der Nachtigall anvertraut, dass sie, weil er sie zu lange warten ließ, einen Anderen geehelicht hat. Eine traurige Geschichte - zumindest für des Geliebten Glocken.

Aber auch Luther kommt zu Wort. In „Vor allen Freuden“ - einem „Luther-Choral im rhythmischen Gewand des Wanderderwischs“ - begegnen wir persischen Rahmentrommeln, slowakischen Oberflöten, Zink und geschlagener Säge. Da passen die Worte: „Hier bleibt kein Zorn, Zank, Hass und Neid / Weichen muss alles Herzeleid.“ Insgesamt wohnt diesem Titel eine magische, orientalische Mystik inne. Eine Ballade jedenfalls, die sich zum Höhepunkt des Albums erhebt, was vielleicht auch daran liegt, dass hier der einzige klar verständliche Text in deutscher Sprache gesungen wird.

Mit „Ah Bir Atas Ver“ erwartet uns dann sogar ein echter Klagegesang aus Istanbuls Galataviertel. Hier klagen Soldaten-Mütter die Sinnlosigkeit des Krieges an. Dabei begleitet sie die armenische Duduk und eine Kürbisgeige (Kabak Kermane) bis mit einem Schlag drei mexikanische Mariachitrompeten einsetzen. Die sollten auch mal unserer Flinten-Uschi - vielfache Mutter und deutsche Kriegsministerin (Oder wie war der Begriff für dieses Amt und die Frau noch mal?) - den Marsch blasen. Aber so lange sie ihre eigenen Kinder nicht in Kriegsgebiete schickt, sondern nur die Landeskinder, wird sie‘s wohl genauso wenig jucken wie die adelige Herrscherriege in Schillers „Kabale und Liebe“ - nicht wahr, Frau von der Leyen? Wären Sie doch nur eine Lady Milford!

Mit „God Rest Ye Merry, Gentlemen“ verabschiedet sich die illustre Musikertruppe aus der „Barrierefreie[n] Volksmusik“, indem sie uns mit diesem altenglischen Choral aus dem 15. Jahrhundert noch einmal vor Augen und in Ohren führt, dass jeder Tag (vorausgesetzt, man verbringt ihn auch mit Musik) ein Geschenk ist - und das nicht nur zu Weihnachten.

FAZIT: Bei so viel Vorwort wie auf dieser CD, zitiere ich als mein Fazit einfach eine rundum passende Aussage daraus: „Betörend wie die dichte Folge intensiver Düfte auf einem orientalischen Basar, irisierend wie die leuchtenden Farben osmanischer Teppiche auf burgundischen Bildern aus dem Herbst des Mittelalters, verhalten wie kühle Springbrunnen in schattigen Heckengärten und leidenschaftlich wie pralles Sonnenlicht auf ausgewaschenen Marmorstufen.“
Mit (meinen) eigenen Worten:
WIRBELEY erheben sich zur musikalischen Metapher für alles Schöne innerhalb der Volksmusik!

Erschienen auf www.musikreviews.de am 27.01.2016

Tracklist

  1. Zividla Tourette
  2. Agricola Bohemicus
  3. Daphne
  4. Sehr Bie Nous
  5. Bahcesi Var
  6. Under der Linden
  7. Embaxata A Mon Ami
  8. Vor allen Freuden
  9. Stilleben ohne Äpfel
  10. Ah Bir Atas Ver
  11. Copanizza Turquoise
  12. God Rest Ye Merry, Gentlemen

Besetzung

  • Gesang

    Anna Katharina Schumann, Cornelia Schumann, Elke Geier-Tautenhahn, Michael Sapp, Georg Arthur Schumann

  • Gitarre

    Yamato Hasumi

  • Keys

    Michael Sapp, Georg Arthur Schumann

  • Sonstiges

    Hörner, Viola, Trompeten, Blockflöten, Schalmeien, Stiller Zink, Fujara, Hu Lu Si, Duduk, Laute, Banjo, Davul, Daf, Mazhar, Tamorra, Zimbeln, Esraj, Dilruba, Harmonium, Akkordeon, Singende Säge, Lyra

Sonstiges

  • Label

    Westpark Music

  • Spieldauer

    53:10

  • Erscheinungsdatum

    29.01.2016

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