XII ALFONSO arbeiten sich durch Zeit-, Kulturgeschichte und Geographie. Vom Hadrianswall über Odysseus zu Claude Monet und Darwin sind die Brüder Claerhout (zum unfreiwilligen Duo geschrumpft, aufgrund des tragischen Todes von Drummer Thierry Moreno) und ihre zahlreichen Gäste in Mali gelandet, genauer in Djenne, „the most beautiful, attractive and engmatic city of Mali“ wie es im Pressetext heißt. Ein geschichts- und bilderreicher Ort, der sich für eine musikalische Reise geradezu anbietet.
XII ALFONSO machten Ernst, nahmen das Album in Europa und Afrika auf, erweiterten die Besetzung um zahlreiche Musiker aus beiden Kontinenten. Progressiv ist die Musik der Franzosen in Bezug auf Instrumentierung und weltoffener Ausrichtung. Im Kern bietet „Djenne“ eine Mixtur aus impressionistischen Miniaturen mit unaufdringlichen Chanson-Anteilen und jener Art von Folk, die man gerne und eher unbeholfen „Weltmusik“ nennt. Die Bezugnahme auf Rock fällt sehr bescheiden aus.
Die Stücke auf „Djenne“ sind zwischen anderthalb und etwas mehr als vier Minuten lang, womit sofort deutlich wird, dass es keine großorchestralen, weitschweifigen Epen gibt. Es wird viel angerissen, angedeutet, Zurückhaltung und Verharren in der kleinen Form ist ein Markenzeichen des Albums. Diese achtsame und interessierte Herangehensweise entzieht sich dem möglichen Vorwurf des Kulturimperialismus. Das Überschreiten von (musikalischen) Grenzen als verbindendes Element und nicht als Okkupation zeichnet „Djenne“ aus. Hier wird nicht auf Teufel komm raus afrikanisches Liedgut verhackstückt, um Chartserfolge zu landen. Es ist Interesse an der kulturellen Vielfaltt und die hörbare Freude am gemeinsamen Musizieren, die den Reiz von „Djenne“ ausmacht.
Das Album bleibt mitunter fragmentarisch, schlichte Tonfolgen treffen auf sperrige Passagen, karge, zögerliche Momente auf feierliche Beschwörungen. Akustische Instrumente dominieren, das elektrische Gitarren-Solo während „La mosquée d'argile“ wirkt fast wie ein Fremdkörper. Zumindest kurz, bis deutlich wird, dass genau solche Zäsuren zum Reiz gehört, der „Djenne“ ausmacht.
Das gilt ebenso für den warmen und klaren Klang und die exzellenten Gesangsleistungen. „Djenne“ braucht keine überbordenden Höhepunkte, setzt eher auf introspektive Stimmungen, verzichtet auf die potenzierende Wirkung einzelner, herausragender Songs. Es ist alles im Fluss, sprießt, wächst, gedeiht und formt sich zu einer vielschichtigen Einheit, die ein betörendes Stadtpanorama heraufbeschwört. Monet lässt grüßen.
FAZIT: XII ALFONSO zelebrieren die Kunst, das Große im Kleinen sichtbar werden zu lassen, auf „Djenne“ nahezu perfekt. Kann man als einlullendes Plätschern vorüberziehen lassen, doch wenn man sich intensiver darauf einlässt, entwickelt das musikalische Tableau eine ungeheure Tiefe. Über die ein oder andere allzu gefällige Stelle sehen wir so freundlich hinweg wie es das Album selbst ist. Trotz einiger Ian-Anderson-Flöten-Gedächtnispassagen und ein bisschen Sally Oldfield-„Water-Bearer“-Rhythmik: Progressiven Rock spielen XII ALFONSO schon seit geraumer Zeit nicht mehr. Progressiv sind sie hingegen schon.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 20.07.2016
Philippe Claerhout, Cheikh
Angélique Dione, Djamila Diallo, Hamdine, Moustafa Cissé
Philippe Claerhout, Robin Boult, Florian Berouet, Franck Chaubet,
Francois Claerhout, Stéphane Ducassé
Francois Claerhout, Eric Petznik, Boubacar M’baye, Cheikh Baye Fall, N’dongo Faye
Philippe Claerhout ( mandolin, glockenspiel, xylophone...), Francois Claerhout (orchestral sounds...), Stéphane Ducassé (Flûtes, Clarinette), Boubacar M’baye (Djembé, Sabax, Bougarabou, Tama), Camara Le Guinéen (Violon Peul), Cheikh Baye Fall (Xin, Tama, Bougarabou), Diango Diabakhaté (Xalam), Moustafa Cissé (Xalam, Ukulélé), N’dongo Faye ( Djembé, Xin, Calebasse), Pois-carotte (Mélodica), Vieux Camara (Flûte Africaine), Vieux Keita (Balafon)
Eigenpressung/Just For Kicks Music
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24.06.2016