Man kann dem Sireena-Label gar nicht genug für die Pionierarbeit danken, die es leistet, wenn es darum geht, Musik aus längst vergangenen Tagen wiederzuentdecken, welche schon seit Ewigkeiten in der Versenkung verschwunden ist. Musik, die es aber nicht verdient hat, dahin zu verschwinden und für die heutzutage Sammler Unsummen bezahlen, wenn sie etwas von den vergriffenen Musikschätzen besitzen wollen. In Deutschland spielt diesbezüglich ja der Krautrock eine ungemein wichtige Rolle, dessen Bedeutung aus heutiger Sicht gar nicht hoch genug einzuschätzen ist. Damals hat gerade diese musikalische Richtung weltweit andere Bands beeinflusst, die bis heute legendär sind. Wir selber aber scheinen den Krautrock als abgeschlossenes Kapitel zu betrachten. Das ist ein Fehler! Und zur Behebung dieses Fehlers trägt nun Sireena bei.
Diesmal bekommen wir es mit einer der ungewöhnlichsten deutschen Bands zu tun, weil sie tatsächlich den riesigen Spagat zwischen Neuer Deutscher Welle und Prog versucht und sich bereits bei ihrer Namensgebung höchstwahrscheinlich vom wichtigsten Werk des Philosophen Friedrich Nietzsche leiten ließ: ZARA-THUSTRA! Und ohne Wenn und Aber waren in den frühen 80ern und sind noch heute ZARA-THUSTRA die Philo-Psycho-NDWler, die vor keiner noch so verrückten Musik-Idee zurückschreck(t)en. So entwickelten sie ihre eigene, bis heute durchaus umstrittene NDW-Philosophie! Für viele jedenfalls hatte sie Sucht-Wirkung, was aus einem Beitrag innerhalb des ZARA-THUSTRA-Forums anno 2005 hervorgeht, als eine lange angekündigte „Best Of“-CD nicht erschien, schreib ein User:
„Was ist nun mit der ‚Best of‘? Das Jahresende war doch schon längst vorbei. Wenn mir jetzt einer sagt, die gab´s schon und ist wieder vergriffen, dann kauf ich mir ´nen Strick. Und ich finde, um mich wär´s wirklich schade! Also überlegt euch die Antwort und denkt an meine Gesundheit!“
Bleibt zu hoffen, dass besagter Fan die zehn Jahre Wartezeit wohl behalten überstanden und hoffentlich überlebt hat. Denn nun endlich erscheint die wundervoll gestaltete und mit über 78 Minuten bis aufs letzte ausgereizte „Best Of“-CD!
ZARA-THUSTRA verbreiten ihre Musik-Philosophie irgendwo zwischen ULTRAVOX und EBERHARD SCHOENER, der MÜNCHNER FREIHEIT und ELP-Bombast, INTERZONE und „King Arthur And The Knights Of Round Table“-WAKEMAN sowie jeder Menge PETER SCHILLING, als der sich noch „Völlig losgelöst von der Erde“ sah.
Doch stopp!!!
Neben diesen neudeutschen Wellenbewegungen gibt‘s mindestens genauso viele Hörner und Saxofone sowie ein paar Opern-Arien und klassische Tastenausflüge zu hören!
Das soll nicht funktionieren?
Und wie‘s funktioniert!
Selbst ein schlagerhafter Jäger-Song wie „Halali“ bereitet riesengroße Freude, weil man sich die ganze Zeit fragt: „Wie ernst meinen ZARA-THUSTRA diese hitverdächtige Nummer aus dem Jahr 1983, von deren Ende - Wenn‘s nicht so ist, fress‘ ich ‘nen Besen! - die MÜNCHNER FREIHEIT sich offensichtlich für ihr „So sehr man Träume noch leben kann“ (1987) hat inspirieren lassen! Wahrscheinlich kamen die ZARA-THUSTRA-Herren, die auch aus München stammen, einfach vier Jahre zu früh mit dieser Melodie.
Hinter dieser „unfreiwilligen“ NDW-Band verbirgt sich noch ein weiteres Geheimnis, welches die Musiker betrifft. HERMANN WEINDORF, Keyboarder und Sänger, spielte zuvor nämlich bei der deutschen Jazz-Institution schlechthin, nämlich KLAUS DOLDINGER‘S PASSPORT. Dazu kamen noch zwei weitere Musiker, die bei den MÜNCHNER PHILHARMONIKERn aktiv waren. Nicht wirklich eine typische NDW-Kapelle! Genau aus diesem Grund war die ZARA-THUSTRA-Musik ein Schmelztiegel unterschiedlichster Musik-Genre: Klassik, NDW, Pop, Jazz, Rock, Schlager, Prog. Alles war dabei. Speziell dazu gibt auch das Booklet Auskunft: „Es war einmal der Gedanke, die Musik zu schaffen, welche - losgelöst von allen Schablonen - in eine musikalische Traumwelt entführen und Probleme der Zeit auf eine märchenhafte Weise vor Augen führen sollte. Der Gedanke wurde mit der Musik von ZARA-THUSTRA realisiert, wobei sie ihren romantischen, märchenhaften Charakter den Einflüssen der Spätromantik verdankt. [...] Jedes Lied ist dabei als Kurzgeschichte zu verstehen, gleichsam als eine Fabel, die auf gleichnishafte und mystische Weise Probleme der Zeit darstellt und diese reflektiert.“
Einige Printmedien bezeichneten das, was auf den insgesamt vier ZARA-THUSTRA-Alben {„Eiskalt“ (1982) / „Psychopoly“ (1983) / „Ritter der neuen Zeit“ (1985) / „Head Over Heels“ (1988)} passiert, sogar als „neudeutsch gewellter Wagner-Pop“, womit sie gar nicht mal falsch liegen. Denn ähnlich wie dem klassischen Wagner-Werk wohnt auch der Musik dieses Münchner Sextetts viel Bombast inne.
Und eine der schönsten Nachrichten für alle Sammler und Komplettisten ist dann bestimmt auch, dass mit „Hannibal Extended“ (eine sechsminütige Kunst-Rock-Nummer, die sich dann mit einer Hookline und Carmina-Burana-Chor sowie fetten Hörnern zur bombastischen Hymne erhebt plus einem Text über die Vergänglichkeit) ein bisher unveröffentlichter Song auf dieser „Best Of“ enthalten ist. Aber auch die hervorragende, so noch nie dagewesene Klang-Qualität der Aufnahmen macht das Album auch für jeden Ohr-Fetischisten zum Hochgenuss!
FAZIT: Bei Nietzsche sprach Zarathustra - in München singen und musizieren ZARA-THUSTRA. Eine wahre Philosophie für unsere Ohren, nicht jenseits von Gut und Böse, sondern im Diesseits musikalischen Erfinder- und Experimentier-Geistes.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 25.01.2016
Hermann Weindorf, Clemens Weindorf, Alphons Weindorf, Maximilian Spenger, Walter Schwarz
Hermann Weindorf, Clemens Weindorf, Maximilian Spenger
Walter Schwarz, Alphons Weindorf
Berthold Weindorf (Saxofon), Clemens Weindorf (Horn)
Sireena Records / Broken Silence Distribution
78:15
14.11.2015