Auch wenn der Bandname ZIGURI sicher nicht gleich jedem etwas sagt, so werden die alten Krautrock-Herzen und die der Berliner-Elektronik-Schule jedoch höher schlagen, wenn sie dahinter die Namen DIETER KÖLSCH, GÜNTER SCHICKERT und UDO ERDENREICH aufspüren.
Schickert, der mir KLAUS SCHULZE zusammenarbeitete und in den 70ern mit „Samtvogel“ (1974) und „Überfällig“ (1979) bereits beachtliche Solo-Alben - auch unter dem Brain- und Sky-Label – veröffentlichte, ist ein begnadeter Gitarrist und Elektronik-Tüftler, dem von der Presse schon zurecht der Begriff „Meister des rollenden Echos“ verpasst wurde. Was man darunter zu verstehen hat, kann ausgiebig auf <a href="https://www.youtube.com/watch?v=911OdpUJ_eM" rel="nofollow">ZIGURIs „onetwothreefour“</a> genossen werden, wenn sich (auch an PINK FLOYD gemahnende) Echo-Gitarren in unendliche Höhen erheben, angefeuert von bodenständigen Erdenreich-Bässen und treibendem Kölsch-Schlagzeug. Schwer psychedelische und spacegeladene HAWKWIND-Gewitter gilt es dabei genauso zu entdecken wie abgefahrenes Kraut aus dem Hause CAN oder AMON DÜÜL sowie bedrohlich verfremdete Gesänge oder seltsame Klang-Collagen, welche an die frühen Zeiten von GONG erinnern, als ein „verrückter“ STEVE HILLAGE seiner Gitarre Töne wie aus einem anderen Universum entlockte.
ZIGURI selbst wurde 1987 als Krautrock-Projekt in Berlin gegründet und war vorerst gut 10 Jahre lang aktiv, bis es sang und klanglos verschwand. Vielleicht war die Zeit damals, in den 80er/90er-New-Wave- und Dance-Pop-schwangeren 0-8-15-Musikwelten, einfach nicht reif für diese seltsam Mischung aus Psychedelic, Trance, eigenartige, manchmal recht monotone Beats und fette Bass-Linien, über denen sich Schickerts hypnotische Gitarrensounds breit machten.
Genauso wie sie verschwanden, tauchten ZIGURI 15 Jahre später wieder aus der Versenkung auf und legten 2014 nach 27 Jahren ihr erstes Album vor, dem nun endlich mit „onetwothreefour“ die Fortsetzung folgt. Dazwischen lagen jede Menge Live-Erfahrungen, bei denen man sogar gemeinsam mit dem exzentrischen CAN-Sänger DAMO SUZUKI auftrat. Ähnlich exzentrisch ist auch der Projekt-Name ZIGURI, der sich auf die Sprache der mexikanischen Tarahumara bezieht, welche damit den Peyote-Kaktus, aus dem das halluzinogene Alkaloid Meskalin gewonnen wird, bezeichnet.
Selbstverständlich kommen einem beim Hören von „onetwothreefour“ auch jede Menge anderer Halluzinogene in den Sinn, was garantiert vom Berliner Krautrock-Trio voll beabsichtigt ist.
Auf ihrer aktuellen CD nehmen uns ZIGURI auf eine 76 Minuten andauernde musikalische Reise durch Trance- und Krautrock genauso mit wie durch die Höhen und Tiefen experimenteller Klangsuche mit offenem Ergebnis. Weltmusik und Schamanisches lassen sich dabei genauso entdecken, wie überraschende Beats oder ausgiebige Wiederholungen, die sich nach und nach wie ein Bohrer über die Windungen der Hörgänge mitten ins Gehirn fräsen. Das beginnt gleich mit dem 14minutigen – natürlich „Onetwothreefour“ eingezählten - „Pietra di Bismantova“ über einen träumenden Berg und setzt sich ähnlich in immer neuer Themenvielfalt über anarchistische Radiostationen, losgelöste Heißluftballons, afrikanisches Feuer oder <a href="https://www.youtube.com/watch?v=x6y70koe44g" rel="nofollow">die musikalische Interpretation philosophischer Gedanken</a>, wie die von Theodor Däubler (1876-1934): „Wir sind der Glaube an die Macht der Sonnen, wir sind die Kinder des Lichts“, fort.
Großen Wert legen ZIGURI besonders auch auf die Feststellung, dass ihre Musik tatsächlich ohne jegliche Synthesizer, Looper, Sampler oder Sequenzer auskommt – und haben dafür auch gleich einen Namen parat: „Handmade Dancefloor“.
Der „offizielle Teil“ des Albums endet ebenfalls mit einem viertelstündigen, stark Space-orientierten Stück, welches immer wieder gehörigen Druck über Bass und Schlagzeug aufbaut und sogar mit völlig unerwarteten Trompetenstößen aufwartet. „SKYKISS“ ist der Soundtrack für ein altes Filmdokument, das über den Wettflug dreier Heißluftballons in Berlin-Schmargendorf anno 1908 – <a href="http://www.gordonbennett2012.ch/news-lesen/items/de-geschichte-gordon-bennett.html" rel="nofollow">den Gordon-Bennett-Ballonwettflug</a> – berichtet.
Ein historisches Ereignis umrahmt von zeitloser Musik. Das beste Stück des Albums – vielleicht weil es so abgehoben klingt.
Besondere Leckerbissen sind auch die drei Bonustracks, die es fast auf eine Laufzeit von 30 Minuten bringen.
Die ersten beiden Aufnahmen stammen aus dem Jahr 1996 und sind ohne Schickert, dafür aber als Sextett mit drei Sängerinnen aufgenommen.
„Hotel Babel“ ist ein vertontes, französisches Gedicht von Guillaume Apollinaire (1880-1918), das psychedelisch mit zusätzlichen Quietsche-Entchen-Klängen daherkommt.
„DiaLekT“ basiert auf dem Text „Les Nègres“ von Jean Genets – welcher ja auch schon mehrfach von DAVID BOWIE besungen wurde -, ist sehr atmosphärisch, fast düster-bedrohlich und lebt von Percussion und Electronics sowie einem tief-wummernden Bass.
Es wäre wirklich schade gewesen, wenn uns diese beiden Stücke nur wegen der Abwesenheit Schickerts entgangen wären!
Der ist dann aber beim letzten viertelstündigen „Apricot Brandy“ aus dem Jahr 1993 wieder mit an Bord und steuert sogar einen extrem abgefahrenen Text bei, der solch kryptische Formulierungen wie: „Du schießt Apricot Brandy und dein Kopf wird zum Apfel an Evas Baum“, oder: „Die Explosion in deinem Kopf lässt Paradies und Hölle bersten und es geht wieder los!“, enthält. Wenn das keine Psychedelic der späten 60er Jahre ist, die zugleich auf ganz besondere Art abgefahren wirkt, weiß ich auch nicht mehr! Allerdings kommt dieses Stück halluzinogenen Krauts eben etwa 30 Jahre zu spät.
FAZIT: Willkommen im vielfarbigen Kräutergarten aus Psyche, Trance, Beats, Prog und purer Verrücktheit, den SCHICKERT, ERDENREICH und KÖLSCH alias ZIGURI in den Wohnstuben unseres anspruchsvollen und zugleich etwas abgehobenen Musikgeschmacks anlegen. Wie und durch welche Öffnungen man diese Kräuter zu sich nimmt, sollte jeder am besten für sich selbst entscheiden. Eine Tüte für die Ohren!
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 13.09.2016
Udo Erdenreich
Dieter Kölsch, Udo Erdenreich, Günter Schickert, Roswitha Kreil, Ines Burdow, Karen Thastum
Günter Schickert
Dieter Kölsch, Zam Johnson, Udo Erdenreich, Günter Schickert
Günter Schickert (Trompete), Karen Thastum (Flöte)
Sireena Records
76:10
02.09.2016