Die italienische Band ABORYM hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren einen Namen als eine der interessantesten Black Metal-Kapellen Europas gemacht, um die Gründungssäule Malfeitor Fabban kreiselt bis heute das Mitglieder-Karussell, in dem u.a. (mehr oder weniger zweifelhafte) Szenegrößen wie Attila Csihar (MAYHEM) oder Faust (EMPEROR) Platz genommen haben. Was diese Band so interessant macht bzw. gemacht hat: Ihre avantgardistische Vermählung des Black Metal mit Elementen aus Industrial, EDM/IDM und was sonst noch gerade (nicht) passt zu einer chaotischen Suppe, die von Kritikern immer wieder gepriesen wurde.
Wer nun aber als aufgeschlossener Black Metal-Hörer „SHIFTING.negative“ einlegt und aufgeschlossenen Black Metal erwartet, wird wohl schwer enttäuscht sein, denn schwarz ist hier praktisch nichts mehr – und preisenswert eigentlich auch nicht.
Wie zu erwarten war, klingt das Album allgemein hochgradig elektrifiziert, doch während dieses Element auf früheren Alben der Band hauptsächlich als Stilmittel der Entfremdung und Entstellung des ohnehin schon räudigen Schwarzmetall-Sounds diente, läuft dieser Motor auf „SHIFTING.negative“ leer, was schlicht daran liegt, dass das Fundament, die Songs derart dürftig daherkommen, dass es kaum etwas zu entfremden und entstellen gibt.
In den Klängen der 90er zu fischen ist wohl in Ordnung, ABORYM haben ihren Fokus aber sichtlich aus Skandinavien weg und nach Nordamerika verlegt: Im Großen wie im Kleinen lässt sich das Album als eine Mischung aus KORN, MINISTRY und den NINE INCH NAILS denken: Immer wieder wechselt sich Flüster-/Sprechgesang mit Hooks ab, die Jonathan Davis nicht besser hätte produzieren können.
Offenbar im Bestreben, das Ganze möglichst abwechslungsreich und unerwartbar zu gestalten, wurden klassische Songstrukturen weitestgehend zurückgelassen, was zur Folge hat, dass sich weder innerhalb der Lieder noch zwischen ihnen eine klare Linie abzeichnet: Auf das ruhige und recht gelungene „Precarious“, das trotz der Tatsache, dass sich die breit inszenierte Steigerung ins pure Nichts entlädt, wegen seiner spürbaren Atmosphäre eines der besten Stücke des Albums ist, folgt „Decadence In A Nutshell“: Abgehackte und (schreiend uninspirierte) Riffs, die by the way ziemlich dünn klingen, verzerrte Vocals, eine KORNige Hook, unvermittelt einsetzende Ruhe, geloopte Sprachfetzen, Tempowechsel.
Leider hat man hier und auch bei den meisten anderen Songs, die zu oft mit Brüchen, Ausbrüchen und Zusammenbrüchen und einem Haufen unüberlegt und ziellos wirkender Electro-Effekte übervoll gestopft wirken, den Eindruck, dass die artistische Sprachlosigkeit mit einem Haufen wenig origineller Budenzauber-Kunststücke übertüncht werden soll, wobei gute, soll in diesem Fall heißen, greifbare, durchdacht und ausgereift wirkende Songs nur als (zufälliges) Nebenprodukt und dementsprechend selten vorkommen.
Solche positiven Ausreißer wären das erwähnte „Precarious“, das zwar merklich auf Chaos gebürstete, aber gerade gegen Ende durch eine rasante Zielsicherheit unterhaltsame „You Can't Handle The Truth“ und das finale und unerwartet kraftvolle „Big H“, das wie ein hässlicher Geier letztendlich in einer fast post-rockigen Wolke verschwindet.
Somit setzen sich ABORYM mit diesem Album zwischen zwei Stühle: Zu sehr auf Widerborstigkeit gebürstet, um als unterhaltend zu gelten, zu beliebig und inhaltsschwach, um als auf geistiger Ebene sich erschließendes Kunstwerk zu gelten.
FAZIT: Für aufgeschlossene(re) Hörer (als mich) – ABORYM entfernen sich denkbar weit von ihren Black Metal-Wurzeln, was unter dem Gesichtspunkt der Weiterentwicklung sicher interessant und vielversprechend ist/wäre, jedoch zu einem nur in Teilen genießbaren Album führt, das unter der lärmenden Industrial-Haube zu viel heiße Luft bereithält, um dauerhaften Eindruck zu hinterlassen.
Daher: „Fire Walk With Us!“ (2001) mit Attila Csihar am Mikro ist ein grandioses und spannendes Black/Industrial Metal-Album, das es sich in jedem Fall anzuhören lohnt, egal, ob einem die neuen ABORYM gefallen oder nicht, und egal, ob die neue Twin Peaks-Staffel gut wird oder nicht.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 10.03.2017
Dan V
Fabban
Dan V, Davide Tiso
Stefano Angiulli, Fabban
Agonia Records/Soulfood
47:16
27.01.2017