Unter Modern-Metal-Krankheiten leiden selbst gestandene Helden wie ACT OF DEFIANCE um den ehemaligen Eidolon- und Megadeth-Schlagzeuger Shawn Drover sowie Gitarrenvirtuose Chris Broderick. Das Brüll-Sing-Schema wird bei den Amerikanern sehr einfühlsam gehandhabt, wofür Henry Derek ein außerordentlich geeigneter Mann ist. Er beherrscht auf dem zweiten Album der Gruppe phasenweise geradezu Stumpfes wie ‚Molten Core‘ (ist praktisch purer Death Metal) genauso wie richtig fürs Radio geeignete Kost, an die man bei manchem Refrain denken muss. Das Quartett schließt akustische Momente wie im Highlight ‚The Talisman‘ ebenso wenig aus wie fiese Breakdowns und rhythmische Sauereien, die schließlich auch den Prog-Gourmet mit der Zunge schnalzen lassen. Rundum-Vollbedienung also? Absolut.
Während das ACT-OF-DEFIANCE-Debüt „Death And The Burial“ bei aller Professionalität mit dem Stigma eines bloßen Musikprojekts behaftet war, kann davo beim Nachfolger, dessen Titel in Hinblick auf die Selbsteinschätzung der Mitglieder genauso wenige Missverständnisse zulässt wie der Name der Band, keine Rede mehr sein. „Old Scars, New Wounds“, eine stimmige Verschränkung alter und moderner Metal-Tugenden, wurde in gemeinsamer Arbeit ersonnen. Anders hat man dabei nicht viel gemacht, und Broderick wollte sich sogar zügeln, was technische Schweinereien anging, aber das Gegenteil geschah. Er beschäftigte sich während des Schaffensprozesses mit neuen Spielweisen, die er sich in harter Arbeit aneignete und darum unbedingt auf der Scheibe zur Geltung bringen wollte.
Anders, als man deshalb unterstellen mag, ist "Old Scars, New Wounds" aber beileibe vertontes Angebertum für masochistische Musikstudenten, sondern eine fast klassische Song-Zusammenstellung, denn jede der hörbar sorgsam ausgearbeiteten Kompositionen kann für sich stehen - dank ihrer Hooks und nicht etwa wegen lauter und greller spielerischer Feuerwerke. Die knallen und funkeln quasi "nur" nebenbei.
FAZIT: Für ACT OF DEFIANCE gilt im NWOAHM-Bereich weiterhin: Hier musizieren die Chefs, allen voran Virtuose Chris Broderick mit seinem markanten Gitarrenton, aber die Band als ganze bietet mit ihrem zweiten Album einen Parforceritt, wie ihn nur wenige Mitbewerber ruckelfrei schaffen. Das Quartett vernietet traditionelles Altmetall nahtlos mit Core-Anleihen, die zu keiner Sekunde schal schmecken, zu einem spielstarken und angemessen wuchtig produzierten Monstrum, auf dem zwischen mehreren „nur“ unauffälligen Stücken einige regelrechte Hits hervorstechen, die den Kauf der Scheibe für Freunde des Zeitgenössischen unabdingbar macht. <img src="http://vg09.met.vgwort.de/na/ee1038de800645709993e4e71f58e153" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 23.09.2017
Metal Blade / Sony
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29.09.2017