Wer erwartet auf einer Rasierklinge, wenn etwas von ihr tropft, nur Blut? Ja, der soll sich weiter ungeschickt vorm Spiegel rasieren.
Auf dem zweiten Solo-Album von Multiinstrumentalist ALAN REED, zugleich ehemaliger PALLAS- und ABEL GANZ-Sänger, jedenfalls tropft statt Blut Honig von der Klinge. Und wer‘s nicht glauben kann, der werfe einfach mal einen genaueren Blick auf das Cover von „Honey On The Razors Edge“.
Doch nicht nur ein Blick auf das Cover, sondern auch auf die illustre Schar der Musiker, die sich Reed in seinen musikalischen Bienenstock geholt hat, weckt nicht nur zuckersüße Begehrlichkeiten. STEVE HACKETT, MIKE STOBBIE von PALLLAS, SCOTT IGHAM von PENDRAGON, CLAUDE LEONETTI von LAZULI, CHRISTINA BOOTH von MAGENTA und viele weitere fleißige Musik-Arbeitsbienchen sorgen für einen abwechslungsreichen Ertrag, der zum Glück nicht nur zuckersüß und klebrig, sondern auch ganz schön bissig sein kann.
Allerdings muss der Hörer erst einmal seinen ersten Schreck überwinden, wenn ihn „My Sunlit Room“ mit ein paar poppigen Melodiebögen begrüßt, die sich aber ganz schnell mit <a href="https://www.youtube.com/watch?v=YcETSrU1_jA" rel="nofollow">„Razor“</a> in rockige Gefilde (Sogar mit Mundharmonika-Solo!) verabschieden, um dann nach und nach eine progressiven nach ELP oder eben auch PALLAS klingenden Bienenstaat zu errichten, der beim romantischen Duett mit Frau Boot auf „Leaving“ auch nicht vor MAGENTA und PENDRAGON halt macht. Und wenn dann mit dem zugleich längsten, knapp neunminutigen „The Other Side Of Morning“ der perfekte Siebziger-GENESIS-Klang für die schönste Honigsorte sorgt, dann ist der etwas befremdliche Album-Start endgültig vergessen. Diese Biene jedenfalls sticht voll ins Schwarze, auch wenn sie sich danach mehr in die ruhigeren Bereiche, weit von des Messers Schärfe entfernt, zurückzieht, wobei sie auch durch viel weibliche Unterstützung begleitet wird, egal ob das nun die Sängerin Laetitia Chaudemanche oder Monique van der Kolk von HARVEST ist.
Mit weltmusikalischen Klängen und fast an Weihnachten erinnernden Satzgesängen sowie zum Ende hin ELP-Keyboard-Bombast verabschiedet sich ALAN REED dann auf „Northern Light“ aus dem Album, das neben dem oft neoprogressiv-romantischen Prog aus dem Bienenstock immer wieder mal gehörig schnittig ist. Und dass sich hinter dem schön gestalteten Digipak zugleich noch ein 16seitiges, wiederum in völliger Bienenstock-Optik gestaltetes Booklet befindet, in dem man alle recht nachdenklichen, manchmal etwas bedrückend wirkenden Texte nachlesen kann, bereitet garantiert auch all denjenigen große Freude, die gerne das Hören progressiver Musik als Gesamtgenuss zelebrieren, zu dem die Texte genauso dazugehören wie eine ansprechende „Verpackung“.
FAZIT: Wenn Honig von einer scharfen Rasiermesserklinge tropft, dann muss das nicht zuckersüß, sondern darf durchaus auch sehr progressiv mit einigen romantischen Einschlägen klingen. ALAN REED – der ehemalige Sänger von PALLAS und ABEL GANZ – spielt sein Solo-Album „Honey On The Razors Edge“ mit einem großem Star-Ensemble ein (Steve Hackett, Christina Booth u.v.m.), das ihn als fleißige Prog-Bienchen tatkräftig unterstützt und durchaus zu einem Ergebnis führt, welches besonders Erinnerungen an die Bands weckt, bei denen er zuvor als Sänger aktiv war.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 29.03.2017
Alan Reed
Alan Reed, Monique van der Kolk, Laetitia Chaudemanche, Christina Booth
Alan Reed, Jeff Green, Steve Hackett
Mike Stobbie
Scott Higham, Alan Reed
Steve Hackett (Harmonika), Claude Leonetti (Leode)
White Knight Recordings / Just For Kickst
42:03
31.03.2017