Als diejenigen, die an der Küste die Gezeiten ausrufen, haben sich BELL eine große Verantwortung auferlegt, und wenn man diese Metapher auf die Musik des Trios überträgt, darf man konstatieren, dass es seine Pflicht auf diesem ersten Lebenszeichen zumindest erfüllt; die Kür mag dann später ins Auge gefasst werden. Gleichwohl, "Tidecaller" strahlt zweifelsohne genügend Souveränität aus, um der Band nicht unterstellen zu müssen, sie habe über sich hinauswachsen müssen, um diese Scheibe zu stemmen. Die Göteborger gehen sehr abgeklärt mit der Materie Doom um, auch wenn sie sich selbst nicht in dieser Szene angesiedelt sehen, wie ihr Frontmann Martin Welcel betont.
Darüber kann man mit den Songs im Ohr allerdings nur lachen, denn in reinerer Form als dieser kann man Metal mit gezogener Handbremse nicht spielen. Der Gitarrist mit der glockig hellen Stimme strahlt gleichermaßen Melancholie und Zuversicht aus, so wie man es aktuell auch von PALLBEARER oder KHEMMIS kennt, wobei jene beiden die aufregenderen Songs im Programm haben - vielleicht aufgrund ihres Weitblicks und einer zwangloseren Herangehensweise, wenn es ums Hantieren "artfremder" Stilelemente geht.
Was dies betrifft, sind BELL sehr konservativ eingestellt, wobei sie den Fehler begehen, ihr Tempo zu selten zu variieren, und nicht schnell genug auf den Punkt kommen. Selbst bei relativ kurzen Stücken wie dem Opener 'Secret Mountain' oder 'Reach Out' stellt sich die Frage, wann es denn endlich richtig losgeht. Letztlich wird man enttäuscht, denn statt jeweils auf einen dramatischen Höhepunkt oder ein klares Statement hin zu komponieren, schleppen sich die drei Schweden mit spartanischen Mitteln fast nie in eine klar ersichtliche Richtung. Das Finale 'Dawn Of The Reaper' ist der einzige Track mit einem Hook, das im Kopf hängenbleibt, und macht auch etwas mehr Dampf.
So wird "Tidecaller" zu einem Werk, auf dem die Musik lediglich einem bestimmten Sound entspricht, doch würde man ihr diesen Entziehen, bliebe nicht viel von Songs im eigentlichen Sinn übrig. Eine Handvoll hübscher Melodien und Harmonien wecken dann zwar doch Interesse, doch wie gesagt: Der Weisheit letzter Schluss ist das hier noch nicht, also bitte nicht wieder eine skandinavische Band in den Himmel loben; bei BELL ist es noch zu früh, aber …
FAZIT: … es besteht kein Zweifel daran, dass diese Band mit starkem Doom, der klassische Metal-Einflüsse ebenso wenig negiert wie schmutzigen Sludge, aufwarten kann, doch "Tidecaller" deutet vorläufig nur an, was uns in Zukunft aus Göteborg erwarten könnte. BELL surfen auf der nicht ablassen wollenden Welle junger wilder Schweden-Kapellen mit, sind aber bis auf weiteres "nur" Fans, die ihre Instrumente solide beherrschen und einen sympathischen Sänger in ihren Reihen haben. <img src="http://vg04.met.vgwort.de/na/4b1cfa4c3b7b41a3a95cbecbd5311a16" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 9/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 29.10.2017
High Roller /Soulfood
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06.10.2017