Was für ein schöner Name.
Da kommen Kindheitserinnerungen auf – an eine Zeit, in der man die Kleinen nicht vor ein iPad setzte und bunte Bilder vorbeiflitzen ließ, sondern sich mit ihnen tatsächlich gemeinsam Bilderbücher anschaute, ihnen erklärte, was kunterbunt darauf zu sehen ist und gemeinsam Freude daran hatte.
Aber ein Bandname?
Passt das? Da hört man doch und sieht weniger!
Nur Hörbuch wäre irgendwie dann doch ein Scheißname...
Also: BILDERBUCH.
Und bereits nach dem ersten Hören von „Magic Life“ ist einem klar: der Name passt schon, denn diese bunte Noten- und Klangmixtur ist wirklich ein Bilderbuch für die Ohren. Aber auch das äußerlich grellbunte, innerlich aber ausschließlich schwarz-weiße 20seitige Booklet passt zum Namen.
BILDERBUCH jedenfalls sind angetreten, um Pop-Songs zu schreiben, die sie dann gleich wieder zerstören wollen. Das gelingt ihnen in den knapp 40 Minuten auch restlos. Eigentlich ist das hier die Neue Deutsche Welle, die schon uralt erscheint, aber auf „Magic Life“ im fetten "Boomshakalak“ leuchtet. Außerdem kommen BILDERBUCH aus Österreich. Was liegt da nicht näher, FALCO wieder aus dem NDW-Sarg zu holen, ihn zu entstauben und in kommissarischer, amadeushafter Wiener-Blut-Manier einen neuen Anstrich zu verpassen, voller Electronics, mit verrückten Texten, aber auch E-Gitarren und Rap- sowie Funk-Sounds. Immer schön verrückt, immer extrem abgefahren, immer auf Hype-Antihype-Tripp im hervorragend klingenden Sound gebürstet. Und außerdem ist leider auch PRINCE schon gestorben. Den mag man auch – also mit rein in das magisch klingende Bilderbuch, bei dem einem zugleich das SPLIFFsche Blech wegfliegt!
„Magic Life“ - das ist auch Elektro-Pop-Minimalismus, der auf metallische Breitwand-Epen trifft und sich mit diesen fetzt, bis einer von beiden am Ende des Songs als Sieger aus dem Kampf der seltsamem Giganten hervorgeht. Allerdings setzt es dabei auch einige gehörige Tiefschläge und gezielte Tritte in die Weichteile, damit diese nicht erschlaffen, sondern hart werden: „Ich kauf mir den Shit / Und verkauf mich smart / Bin ein Löwe der Zeit / Der schönste meiner Art.“ („Investment 7“)
Und mit „Sweetlove“ erfahren wir in einer seltsam abgefahrenen Ballade, dass „Diese Welt ist kalt – so cold (so cold) [ist] / Aber du hast Liebe für mich“. Viele werden vielleicht genau nach diesem Song auch ihre Liebe für BILDERBUCH entdecken, weil sie wie ein Haufen Musiker klingen, die man ähnlich wie die Wissenschaftler von Dürrenmatts „Physiker“ in die Psychatrie steckte, damit sie ihre verrückten Ideen nicht preisgeben, weil sie zu viele außerhalb des Heims, die im Grunde am Ende die „wirklich Verrückten“ zu sein scheinen, überfordern. Und wenn wir den dritten Punkt aus Dürrenmatts Dramentheorie auf die BILDERBUCH-Musik übertragen und das Substantiv „Geschichte“ durch „Musik“ ersetzen, dann sind wir dem österreichischen Quartett schon verdammt nahe gekommen: „Eine Musik ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmst mögliche Wendung genommen hat.“ Am 19. Punkt braucht man dann überhaupt nichts mehr zu ändern: „Im Paradoxen erscheint die Wirklichkeit“.
Willkommen im „Magic Life“ von BILDERBUCH!
FAZIT: Sänger MAURICE ERNST erzählte einst in einem Interview, dass er sich bei seiner Musk besonders von seinem Zivildienst in der Psychiatrie hat inspirieren lassen. Nach „Magic Life“ glaubt man ihm und seiner Band BILDERBUCH das ohne jeden Zweifel. Die Neue Österreichische Welle klingt nach FALCO auf dem PRINCE-Tripp mit E-Gitarre sowie verrückten Texten und der Suche nach einem Pop-Song, den man, sowie er gefunden wurde, brachial krachend zerstört.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 19.02.2017
Peter Horazdovsky
Maurice Ernst
Michael Krammer
Andreas Födinger
Machine Records via Virgin Records/Universal
38:21
17.02.2017