Die Blaue Blume – in die Fresse! So eine freie Interpretation des Artworks und auch des Albums selbst, dieses großartigen fünften Albums von Haley Fohr alias CIRCUIT DES YEUX. Tief hinein in indigofarbene Tiefen taucht man auf den schattenhaften Spuren untergegangener oder illusorischer Anmut und jedes Kapitel der Reise ist in unterschiedlichen Sphären angesiedelt…
Kein Wunder, denn Haley bedient sich einer breiten Auswahl an Instrumenten und Konfigurationen: Synthesizer, Gitarre, (falsche) Bläser, Geige und vor allem ihre unverwechselbare Stimme, die vor allem in NICO-hafter Tiefe an Eindringlichkeit zunimmt. Stichwort NICO: „A Story of this World Pt. II“ weckt in der Tat Assoziationen mit THE VELVET UNDERGROUND. Verzerrte Gitarren wie Schrott übereinander getürmt, sinistres Streichertum, ein großes Pulsieren. Doch der Song bleibt Abriss-haft und der am wenigsten eindrucksvolle des Albums. Eindrucksvoll, aber zunächst mitnichten zu genießen ist „Paper Bag“. Aus gepitchten Stimmfetzen wird eine mechanische Melodie gebaut, eine sirrende, insektige Grundfläche weckt Widerwillen. Doch wie nicht selten tritt ein plötzlicher Umschwung ein, zu stringenter Rhythmik, Gitarre und Gesang: „Stick your head into the paper bag and see what you will find“, lockt Haley.
Das lange und komplexe Doppel <a href="https://youtu.be/OOSkOvcvhms" target="_blank">"Black Fly"</a> und „Philo“ könnte man als den Kernbereich von „Reaching for Indigo“ ansehen. Ersteres geht aus von hart gestreichelter Akustikgitarre und einer Beth Gibbons mit verdoppeltem Resonanzkörper und erweitert sich zunehmend, ein eisiger Synthesizer geleitet den Gesang nach oben und hinaus, es entwickelt sich ein Instrumentalpart, der an PINK FLOYDs geheimnisvoll-wunderbare Pompeii-Jams denken lässt, woran hier nicht zuletzt das Schlagzeugspiel Mitschuld trägt. „Philo“ baut sich auf einem eiernden Loop auf, der dieses unerklärliche, SWANS-hafte, nach dem Chaos hin ausgerichtete Unbehagen hervorruft. Ohne dem Druck nachzugeben, lässt sich Haley singend auf einige der großen Melodien ein, mit denen sie ununterbrochen aus ständig wechselnder Entfernung liebäugelt, während sich ihr Vortrag zu einem Deklamieren, dem Anruf welcher Mächte auch immer steigert und sich zuletzt in unartikulierter Eruption – entsprechend instrumentiert – entlädt.
Auch der letzte Song „Falling Blonde“ ist ein solches „Petting“ mit den großen Melodien, die Haley nicht wie Scott Walker im Ansatz zerstört, sondern sie wie Milch auf- aber nicht überkochen lässt. Auf einem Badalamenti/Cave/Ellis-Bett aus Synthesizer-/Streicher-Regenwolken-Watte deutet Haley den großen Gestus nur an: Eine rührende Fast-Hingabe.
Hier kommt das Beste zum Schluss, auf dem Album zum Anfang. <a href="https://youtu.be/wNfLqCZkFWc" target="_blank">"Brainshift"</a> ist vielleicht das zugänglichste Stück, es trifft den Hörer wie ein leise Lawine. Auf einem minimalistischen Keyboard-Fundament, das später um eingestreute verminderte Bläser-Akkorde zu einem Soundtrack der totalen Verlassenheit ausgebaut wird, erzeugt der Gesang mit klarer trauriger Linie Gänsehaut und lässt dabei auch einen JAMES BLAKE (weit) hinter sich.
FAZIT: Mal sehen wie weit dieses vom Herbstwind hereingewehte Album (hoffentlich nicht nur) in meinem Jahres-Ranking noch nach oben schlittert. „Reaching for Indigo“ ist ein vielgeschichtetes, vielgestaltiges, stimmgewaltiges, nahegehendes und doch ungreifbares Werk. Anhören.
Punkte: 14/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 06.12.2017
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20.10.2017