KARNIVOOL kommen ja mal wieder nicht aus den Pötten, da freut man sich doch über jedes alternative Prog-Lebenszeichen aus dem fernen Australien... und DEAD LETTER CIRCUS sind hier eben mit ihren teils wirklich packenden Melodiebögen und trotz starker Mainstream-Affinität die nächste logische Wahl.
Doch Obacht: Wie das wiederverwertete Cover schon andeutet, ist der Nachfolger des vor zwei Jahren erschienenen „Aesthesis“ kein vollwertiges neues Studioalbum, sondern eine Akustik-Kompilation, deren Kern zum zehnten Geburtstag die vollständige 6-Song-EP „Dead Letter Circus“ bildet. Zum Langspieler komplettiert wird sie durch ausgewählte Stücke von „This Is The Warning“ und „Aesthesis“, während „The Catalyst Fire“ aus unbekannten Gründen unberücksichtigt bleibt.
Was darf man nun unplugged von einer Band erwarten, die zwar grundsätzlich auf Powerplay ausgerichtet ist, aber trotzdem stets auf Gänsehautrefrains schielte? Der Schritt zum Akustik-Set scheint jedenfalls ein naheliegender zu sein. Dass die Neuarrangements jedoch kein Zuckerschlecken waren, sondern harte Arbeit, glaubt man den Musikern gerne, zumal sämtliche Stücke mit hörbarer Opulenz angereichert sind. „Akustisch“ bedeutet hier nicht einmal reduziert; obgleich sanfter und bedächtiger, ist „The Endless Mile“ mit großem Aufwand realisiert.
Man könnte zu behaupten wagen, dass mit „The Mile“ und „Lines“ die Highlights gleich schon am Anfang abgefrühstückt werden. Ersteres verfügt einfach über eine der schönsten Melodien der Sammlung, die durch das deutlich verzögerte Tempo gegenüber dem Original einen zusätzlichen Wirkungszeitraum zugesprochen bekommt. Mit stark präsenter Akustikgitarre und Klavierbegleitung wird sogleich auch verdeutlicht, dass man ein hohes Niveau anpeilt. „Lines“ indes geht im letzten Drittel in einem sehr schönen Klimax auf, der von einem dichten Klangteppich ausgefüllt wird. Soweit ist man durchaus geneigt zu sagen, das akustische Gewand steht dem Quintett sehr gut.
50 Minuten Rock ohne den Rock sind natürlich trotzdem immer eine Menge Holz. Die Elektrische beginnt spätestens gegen Ende des EP-Teils und zu Beginn des Album-Mixes ein wenig zu fehlen: Wenn die Stimmung in kurzen Momenten unangenehm Richtung Sülz-Pop zu kippen droht, würde man sich manchmal etwas Härte zum Gegensteuern wünschen.
Zumal die Herangehensweise je nach Stück variiert („Disconnect And Apply“ versucht es mit hohem Tempo, „Are We Closer“ mit Reggae-Vibe), darf man sich über fehlende Abwechslung dennoch nicht beschweren. Das betrifft auch Sänger Kim Benzie, dessen stets kuschelweiche, angenehm angeraute Stimme durchaus mal leicht aus der Haut fahren darf. Im Funk-Teil von „Here We Divide“ gibt er eine Kopfstimme mit Daniel-Johns-Nuancen zum Besten und in ein, zwei Nummern klingen 30 SECONDS TO MARS an (z.B. „Silence“). Ihre eigenen Markenzeichen arbeiten DEAD LETTER CIRCUS derweil am besten in Stücken wie „While You Wait“ heraus, wenn die grundsätzlich stromlinienförmigen Harmonien einen leicht dissonanten Touch verpasst bekommen.
FAZIT: Akustik-Neuinterpretationen des eigenen Backkatalogs sind und bleiben Geschmackssache. Wer's mag, bekommt von DEAD LETTER CIRCUS eine Vollbedienung mit massig Streicheleinheiten seitens Gesang, Streichern, Tasten und Saiten. Tut nicht weh und fühlt sich sogar gut an – solange der Kuschelkurs nicht zur Marschrichtung für mögliche weitere Studioalben erklärt wird...
Erschienen auf www.musikreviews.de am 08.05.2017
Stewart Hill
Kim Benzie
Rob Maric
Luke Wiilliams
Rodeostar / Soulfood
50:03
12.05.2017