„There is that interesting moment in any writer's first batch of songs […] that always seems to have something that is different from what comes after. […] But there is a purity or a diamond hardness to the first batch that doesn't seem to happen again. And so 'Revival' has that when I look at it. Maybe it's lack of ego. You know, there really was no me. You know, the artist GILLIAN WELCH didn't really exist. And then after that, I did.“
Dem gibt es eigentlich kaum etwas hinzuzufügen: Auf „Boots No. 1“ versammelt GILLIAN WELCH alternative Versionen, Demos und auch unveröffentlichtes Material, alles mehr oder weniger unmittelbar bei den Aufnahmen zu ihrem Grammy-nominierten Debüt-Album „Revival“ (das sich trotzdem suboptimal verkaufte und gemischte Kritiken erntete) entstanden.
Die einen Großteil des Albums bestreitenden „Alternate Versions“ von Songs, die auch auf „Revival“ auftauchten, gefallen vor allem durch ihre auf Gesang-Gitarre-Gitarre reduzierte Umsetzung im Vergleich zu den umfassender instrumentierten Originalen oder den wenigen Songs auf „Boots. No. 1“, die mit voller Bandbesetzung eingespielt sind. So kann z.B. die Demo-Version von „Paper Wings“, dem die an den (Retro-)Mainstream angelehnte Instrumentierung mit Schlagzeug und Bass viel von der naiv-unschuldigen Unmittelbarkeit und Faszination raubt, die die akustischen Stücke auszeichnen, ebenjenen, allen voran der Home-Demo-Version von „Orphan Girl“, nicht das Wasser reichen. Gerade letztgenannter Song, mit einem Vier-Spur-Tonbandgerät aufgenommen, fängt die in den Lyrics zum Ausdruck gebrachte rührende Einsamkeit und Verletzlichkeit noch besser ein als die Album-Version.
Unter den 21 Songs finden sich insgesamt acht bisher unveröffentlichte, die man sicher nicht in die Schublade „Interessanter Bonus für Fans“ stecken braucht, gerade „Go On Downtown“, das ähnlich zurückhaltend und melancholisch ist wie „Orphan Girl“ (und das gleichsam erwachsenere und markantere „Annabelle“), das an GRATEFUL DEAD erinnernde „Wichita“, oder das nur ein einziges Mal live gespielte „Georgia Road“ brauchen sich nicht zu verstecken und sind keine bloße lückenfüllende Rechtfertigung für das „Previously Unreleased”-Label.
Wie schon angedeutet fallen allein die wenigen mit Band gespielten Songs wie die erwähnte „Paper Wings“-Demo, der muntere Prohibitions-Boogie „Dry Town“ oder der unerwartete Rock'n'Roll-Ausflug „455 Rocket“ ein wenig aus dem Rahmen und zerstören die von der Simplizität und der leisen gefühlvollen Weisheit der akustischen Songs, sowohl der folkigen als auch jener, die eher in die Bluegrass-Richtung wuseln, aufgebaute überzeitliche Atmosphäre.
FAZIT: Gillian Welch und David Rawlings gewähren einen umfassenderen und intimen Blick auf ihr erstes Album, angereichert mit bisher ungehörten aber hörenswerten Songs. Ein klare Empfehlung für alle Dapper Dan Men and -Women da draußen (ja, auch am „O Brother, Where Art Thou?“-Soundtrack hat Gillian Welch mitgewirkt), die mit geschmack- und gefühlvoller Roots-Musik und ihrer naiven Spiritualität etwas anfangen können.
P.S.: Da auf „Boots No. 1“ alle „Revival“-Songs vertreten sind und selbst die als „Home-Demo“ bezeichneten Tracks eine höchst zufriedenstellende Klangqualität aufweisen, bietet sich „Boots No. 1“ auch für diejenigen an, die das Original-Album noch nicht kennen/besitzen.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 20.01.2017
Gillian Welch, David Rawlings
Gillian Welch, David Rawlings
Acony Records/H'Art
76:45
25.11.2016