Alternative, du abgetakelte Fregatte, was hat man dir angetan? Diese Frage mag man sich im Proberaum von GRAN NOIR gestellt haben, als es daran ging, Musik zu machen, die im Grunde "alternativ" sein sollte, so wie es ursprünglich einmal gedacht gewesen war.
Die bereits im Frühling 2017 herausgebrachte Single 'Lost At Home' deutete ziemlich genau an, was man in Bezug auf "Electronic Eyes" erwarten durfte: Alternative Rock im urtümlichen Sinn, zweifelsohne sehr melancholisch, aber durchaus schon konstruktiv statt resignierend. Die zweite Scheibe von GRAN NOIR stellt sich nach bereits zweimaligem Hören als herausragendes Album in diesem Bereich heraus, und dieses Gefühl wird auch dadurch verstärkt, dass die Band in ihren Texten eine sehr aktuelle Problematik anspricht.
"Electronic Eyes" setzt sich mit Abgeschottetheit auseinander, dem für die Postmoderne symptomatischen Eindruck des Sich-Verloren-Fühlens. GRAN NOIR kritisieren ohne den erhobenen Zeigefinger Exploitation und Haltlosigkeit, das Leben über unsere Verhältnisse hinaus, doch falls sich solche Hörer unter ihren Anhängern befinden, die keinen Wert auf allzu tief schürfende Lyrics legen, sei ihnen gesagt, dass sie die Songs des Albums auch ohne intellektuellen Ansatz genießen können.
GRAN NOIR haben dem wohl zu sehr beschäftigten Kurt Ebelhäuser, dank dessen Hilfe sie 2013 mit "Alibi" für hochgezogene Augenbrauen sorgten, den Rücken gekehrt, doch ihre neuerliche Experimentierfreude ist durch die erfahrene Hand von Mischer Phil Hillen (u.a. POWERWOLF), der ersten Adresse im Saarland für halbwegs harte Studioproduktionen, kanalsiert worden. Jawohl, "Electric Eyes" zündet nicht unmittelbar, doch gerade dies spricht für die Band, deren epischer Ansatz länger anhaltendes Interesse an den Liedern erzwingt.
Eigentlich ist es ein ziemliches Kunststück von GRAN NOIR, die Koblenz-Connection rein stilistisch weiterhin aufrechtzuerhalten und gleichzeitig doch ganz nach sich selbst zu klingen.Die Finsterkeit - das Beklemmende, das Klaustrophobische, der ausufernde Minimalismus - wirken aber kontrastiv praktisch genauso befreiend wie die treibenden Tracks von BLACKMAIL oder SCUMBUCKET, ja spenden für den Jetztmenschen scheinbar bitter notwendige Zuversicht.
Das gelingt der Gruppe im eher sachten, aber dennoch ungelenken 'Innocent' ebenso gut wie mit dem knapp über zwei Minuten dauernden Abschluss 'Oxaca'. In Summe darf man den in Peking (!) gegründeten Weltenbummlern attestieren …
FAZIT: … eine Vertonung des Jas zum Menschsein geschaffen zu haben. GRAN NOIRs "Electronic Eyes" markiert den vorläufigen Zenit der Band und ist inhaltlich wie handwerklich nur insofern komplex, als die Musiker mit den Erwartungen des Hörers spielen, ohne ihn allzu kräftig vor den Kopf zu stoßen. Daraus ergibt sich eine alternativ-rockige Charakterstudie der Lebendigkeit in der potenziell abtötenden post-analogen Moderne. <img src="http://vg09.met.vgwort.de/na/3601eada4de64e769527ee2b6846814b" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 10.09.2017
Ambulance / Lakedrive / Moisolution
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01.09.2017