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Heckel & Stegliz: Gleismusik

Stil: Liedermacher, Folk

Cover: Heckel & Stegliz: Gleismusik

„Es gibt Momente, da stellen sich die Weichen und selten, und selten von allein – Entscheidungen fallen, die in die Zukunft reichen, und sollen, und sollen uns‘re sein. Und also wohl auch mein.“
Seltsam, aber genau diese Zeilen aus einer der schönsten Blues-Balladen von HANSI BIEBL kommen einem Kritiker wie mir, der Kindheit, Jugend und frühe Vaterfreuden in einem Land verbrachte, das so sehr auf ihn aufpasste, dass es ihn hinter einer Mauer gefangen nahm, wieder in den Sinn. Die entscheidenden Weichen stellten damals andere für uns und gewisse Gleise durften wir nie befahren.

Nun also darf auch ich alle Gleise befahren, auch die musikalischen von HECKEL & STEGLIZ, muss meine Weichen aber selber stellen – und die „Gleismusik“ dieses Debüts hat dabei einiges auch von dem, was ich vor über 37 Jahren an <a href="https://www.youtube.com/watch?v=p1bE00q1uDs" rel="nofollow">„Es gibt Momente“</a> so liebte.

Als erstes wären da natürlich die deutschen Texte der beiden, die auch im Falle von Stefan Gliwitzki als Frontmann von TONE FISH und Max Heckel, als kreativer Kopf von NOBODY KNOWS, die zwar nicht im <a href="https://www.youtube.com/watch?v=phXoiGZk4DY" rel="nofollow">„Oktoberregen“</a>, dafür aber im Dezember 2016 beim Deutschen Rock- und <a href="https://www.youtube.com/watch?v=r7IF0NZBzKs" rel="nofollow">PO</a>p-Preis gleich vier erste Plätze abräumten, aktiv sind.
Egal, ob nachdenklich, wie „Weltenwanderer“, „Farbwiedergabe“ und „Weiße Rose“, oder ironisch, aber keinesfalls spaßig, wie das rattenscharfe (Insider-Gag – wer den Song hört, weiß garantiert sofort, was damit gemeint ist!) „Rendezvous am Bahnsteig“, „Lieber im Bett geblieben“ und „Willkommenskultur“ - die beiden Liedermacher, die im Wechselspiel auf „Gleismusik“ singen und/oder sich an den Instrumenten begleiten, haben dabei mehr zu sagen als die vielen deutsch-poppigen Plattitüden, die mit dekadenter Radio-Penetranz unsere Ohren mit Phrasen-Dünnschiss aus der Reim-Maschine verstopfen.
Heckel selber nennt die Musik auf dem Album „Eine Hommage des Alltags“, während Gliwitzki alias Stiegliz ergänzt: „Eigenständige, bestehende Songs des einen werden jeweils durch den anderen bereichert, in eine neue Richtung weiterentwickelt, ohne zu entfremden. Es ist auf diesem Wege eine besondere CD entstanden, die anders so nie geworden wäre.“

Musikalisch sieht es ein wenig anders aus, denn hier regiert nicht der bibelfreihe BIEBL-Blues, der die guten Texte unterstützt, sondern – besonders auch durch den ausgiebigen Einsatz einer Geige – der authentische Folk und etwas Country. Trotzdem verbreiten der eine Tangermünder und andere Hamelner Liedermacher eine ganz ähnliche Atmosphäre wie es vor langer Zeit die deutschsprachigen DDR-Musiker taten, welche mit lyrischen Texten und Zwischen-den-Zeilen-Botschaften ihre unerbittlichen Zensoren austricksten. Man muss HECKEL & STEGLIZ zuhören, aufmerksam die Texte verfolgen, auch mal zwischen den Zeilen lesen, die Gleise wechseln, die richtigen Weichen stellen und sich dabei entweder wiedererkennen und darüber nachdenken, ob man so sein und bleiben will oder sich dankbar zurücklehnen und zufrieden glauben: „Ne, so bin ich noch nicht!“ Währenddessen schleicht sich dann aber vielleicht eine Frage durch die Hintertür unseres Unterbewusstseins: „Besteht eigentlich die Gefahr, dass auch ich so werde?“
Die Antwort darauf sind wir uns selber schuldig – und auch die Verantwortung dafür tragen wir ganz alleine – oder wie es so treffend im letzten Text des Albums heißt: „Komm, gib mir deine Hand und ich führe dich in ein Land, wo du alleine entscheidest, was du denkst. Doch die Freiheit bekommst du nicht geschenkt.“
Dafür sind die Musik und die Texte auf „Gleismusik“ durchaus ein Geschenk – denn „es gibt Momente“...

FAZIT: „Gleismusik“ von HECKEL & STEGLIZ ist der musikalische Frontalangriff gegen die gute deutsche Biedermeierei, das kleingeistige Denken, welches sich hinter einer Dichter- und Denker-Kultur versteckt und die Scheinheiligkeit, die durch religiös-sonntägliche Gottesdienste schleicht. Am Ende aber steht unweigerlich fest: „Du hast immer die Wahl, Mainstream oder genial!“ („Mainstream oder Genial“). Genau zwischen diesen Gleisen bewegt sich auch die „folkloristische“ Musik der beiden Liedermacher Max Heckel und Stefan Gliwitzki.

Punkte: 12/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 25.07.2017

Tracklist

  1. Rendezvous am Bahnsteig
  2. Weltenwanderer
  3. Lieber im Bett geblieben
  4. Willkommenskultur
  5. Weiße Rosen
  6. Mainstream der genial
  7. Kleinstädtischer Sommer
  8. Farbwiedergabe
  9. Gleis 4
  10. Komm, gib mir deine Hand

Besetzung

  • Bass

    B. Brudzke

  • Gesang

    Stefan Gliwitzki, Max Heckel

  • Gitarre

    Max Heckel, Stefan Gliwitzki

  • Keys

    B. Brudzke

  • Sonstiges

    Max Heckel (Mandoline, Violine), B. Brudzke (Cajon)

Sonstiges

  • Label

    Prosodia

  • Spieldauer

    42:36

  • Erscheinungsdatum

    07.07.2017

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