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Helgi Jonsson: Vaengjatak

Stil: Melancholischer Indie-Pop aus Island

Cover: Helgi Jonsson: Vaengjatak

Island! Island! Immer wieder Island!
Warum nur haben viele Musiker dort ein so tiefes Gefühl für Melancholie gepachtet und können dies auch noch mit Stimme und minimalistischer Musik verwirklichen, dass einem vom ersten bis zum letzten Ton die Haare zu Berge stehen und einen die Gänsehaut einfach nicht mehr verlässt.

SIGUR RÓS, MÚM, ARSTIDIR, ÁSGEIR TRAUSTI und nun auch noch HELGI JONSSON!
Kein Wunder also, dass sein Album mit einem Titel beginnt, der zugleich die Grundstimmung der EP in sich trägt: <a href="https://www.youtube.com/watch?v=Np8lacagEbw" rel="nofollow">„Slow“</a>.
Eigentlich trat Jonnson, der sonst in erster Linie Posaune spielt, mehr in den Schatten seiner erfolgreichen Frau, der Musikerin TINA DICO, und spielte Posaune bei SIGUR RÓS und DAMIEN RICE, mit denen er sich nach seiner aktuellen EP <a href="https://www.youtube.com/watch?v=w8as3d7_KBE" rel="nofollow">„Vaengjatak“</a> gleich auf eine musikalische Stufe stellt, obwohl er nun unbedingt mit einem kompletten Album beweisen sollte, dass er diese unglaublich emotionale und künstlerische Qualität auch über einen kompletten Longplayer halten kann. Auch mit den deutschen Musiker/innen von BOY und PHILIPP POISEL stand er schon gemeinsam auf der Bühne bzw. war an deren Alben beteiligt.

Doch eine Posaune gehört nun mal nur als integriertes Instrument zu Band und Orchester, das reichte einem begnadeten Musiker wie HELGI JONSSON nicht. Noch dazu, wenn man eine dermaßen eindringliche, charismatische Stimme besitzt und die Begabung, viele Instrumente zu spielen.
Auf „Vaengjatak“ beweist sich Jonsson als hervorragend singender Multiinstrumentalist mit starkem Hang zum Piano und jeder Menge elektronischen Spielereien sowie Stimm-Dopplungen. Über allem schwebt dabei die isländische Melancholie, aber auch unglaublich einfallsreiche Klangexperimente, die in einem Sound aufgenommen wurden, der jeder guten Musik-Anlage die wunderbarsten Klänge entlockt. Mit <a href="https://www.youtube.com/watch?v=RVCQJ9x1EP0" rel="nofollow">„What Now?“</a> beweist er sogar, dass ihm ein THOM YORKE bzw. RADIOHEAD mit „Kid A“ sehr am Herzen liegen, wobei er dann mit der folgenden traumhaften Ballade <a href="https://www.youtube.com/watch?v=EpUbXdRE_28" rel="nofollow">„Hundred Miles“</a>, in der endlich auch die Posaune ihren Einsatz erhält, gleich noch einen draufsetzt. Diese klingende Zauberei muss bei jedem neugierigen Hörer regelrechte Hochachtung vor dem Musiker HELGI JONSSON hervorrufen.

Übersetzt verbirgt sich hinter „Vaengjatak“ das Wort Flügelschlag – und diese EP lässt uns wirklich wie auf Flügeln durch die Musik des Isländers schweben und die vielseitigen Arrangements wie eine wundervolle, noch unberührte Landschaft aus Bergen, Seen und Wäldern erscheinen.

Auch klingt die Geschichte, wie es zu dieser EP kam, ähnlich wundervoll, denn sie basiert auf seiner Zusammenarbeit mit dem Direktor des Deutschen Theaters, Falk Richter: „Ich arbeitete mit Falk in Frankfurt und bin jeden Tag auf dem Weg zum Theater am Steinway-Laden, einem großen Klavierhandel in der Stadt, vorbeigelaufen. Ich hatte Angst hineinzugehen, weil ich wusste, dass das Risiko besteht, dass ich mich in eines der  teuren Stücke verliebe. Eines Tages ging ich doch hinein  und verliebte mich. Ich musste dieses Klavier haben. Seit es schließlich im April letzten Jahres nach Island geliefert wurde, habe ich eine Menge Songs auf diesem unglaublich tollen Klavier geschrieben. Es steht vor einem großen Fenster mit Aussicht auf die Berge und das Meer. Es ist der perfekt Platz, um sich hinzusetzen und zu schreiben. Daher habe ich mich entschlossen, diese Stücke  gesondert zu veröffentlichen, um das Gefühl möglichst authentisch transportieren zu können.“

Unfassbar, was uns entgangen wäre, wenn sich HELGI JONSSON nicht seiner Neugier ergeben und dieses wundervolle Klavier angeschafft hätte. Für den Hörer von „Vaengjatak“ zahlt es sich jedenfalls in seiner ganzen Schönheit, Intensität und gefangen nehmenden Leidenschaft vollständig aus und führt uns zu dem FAZIT: Mit „Vaengjatak“ gelingt ein weiterer Beweis dafür, dass die emotionalste, melancholischste und ergreifendste Musik noch immer von der größten Vulkaninsel der Erde – Island – kommt!

Punkte: 13/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 03.08.2017

Tracklist

  1. Slow
  2. Falconer
  3. This Solicitude
  4. What Now?
  5. Hundred Miles
  6. Vaengjatak

Besetzung

  • Bass

    Helgi Jonsson

  • Gesang

    Helgi Jonsson

  • Gitarre

    Helgi Jonsson

  • Keys

    Helgi Jonsson, Tina Dickow

  • Schlagzeug

    Helgi Jonsson

  • Sonstiges

    Helgi Jonsson (Posaune), Unnur Jónsdóttir (Cello)

Sonstiges

  • Label

    Eigenvertrieb

  • Spieldauer

    24:40

  • Erscheinungsdatum

    10.05.2017

© Musikreviews.de