Iain Matthews musikalische Karriere gleicht einer wahren Achterbahnfahrt. Fast auf jeden Erfolg setzte es einen Misserfolg oder Widrigkeiten, die erst gar keine Plattenaufnahmen zustande kommen ließen. Plattenfirmen hofierten Matthews und schmissen ihn wieder raus, wenn Alben floppten. Er war Mitbegründer von MATTHEWS SOUTHERN COMFORT und PLAINSONG, war Solo unterwegs auf langen Touren, und veröffentlichte bis zu zwei Alben pro Jahr. Bis ihn Mitte der Achtziger die negativen Erlebnisse derart mitnahmen, dass er als aktiver Musiker aufgab und fortan für das Label Windham Hill, besonders firm in Bezug auf smoothen Jazz und New Age, als A&R tätig wurde. Künstler*innen-Akquise.
Zu dieser Zeit nahm ihn sich Robert Plant zur Brust, bezeichnete Matthews als einen seinen Lieblingssänger, der aufgrund seines Könnens geradezu verpflichtet sei, aktiv Musik zu machen. Iain Matthews erlag den Komplimenten und hatte mit dem Gitarristen und Windham Hill-Gründer
William Ackerman einen wichtigen Unterstützer im Hintergrund. Er entschied sich ein Album aufzunehmen, das ins Windham Hill-Repertoire passt. Die Verbindung von gefühlvollem, nicht zu seichtem, New Age mit gehobener Singer-Songwriter-Atmosphäre und etwas Folk schien für die Endachtziger wie gemacht.
In Jules Shear fand Matthews einen Komponisten, der mit ihm selbst mehr als nur geringe Ähnlichkeiten besaß. Geschätzt von Kollegen und Kritikern als Musiker und Songschreiber, blieb Shear der großen Masse weitgehend unbekannt. Obwohl er unter anderem mit „All Through The Night“ für Cindi Lauper und „If She Knew What She Wants“ für die BANGLES veritable Hits im Portfolio hat.
1988 erscheint „Walking A Changing Line“, wird von der Musikpresse gelobt, doch die Verkäufe bleiben mittelmäßig. Die positive Resonanz reicht Iain Matthews zum Weitermachen. Das Interesse ist immerhin so groß, dass fast drei Jahrzehnte nach seinem ersten Erscheinen das Album von MiG-Music nicht einfach wiederveröffentlicht wird, sondern als Deluxe-Ausgabe mit Bonustracks und einer zweiten CD voller Demos und Live-Tracks auf den Markt kommt.
Akustische Gitarren, meist flirrende, zurückhaltend eingesetzte Tasteninstrumente, ein bisschen Percussion und elektronische Umgebungssounds plus Iain Matthews charakteristische, etwas nölige, aber einnehmende Stimme, gelegentlich im Chorus unterstützt von sich selbst und Mark Hallman, füllen über 130 Minuten Programm. „On Squirrel Hill“ wird sogar a capella vorgetragen, ein Stilmittel, das Matthews immer wieder mal einsetzt. Ansonsten ist die ruhige Musik von getragener Schönheit, in ihren besten Momenten intensiv und ergreifend, aber gerade im Demo-Modus auch ein wenig allzu gemütvoll vor sich hin plätschernd. Spannender sind die Live-Boni. Die Synthie-Sounds klingen sehr nach der Zeit, in der sie entstanden sind, aber das passt, gibt dem Album eine charmante Patina – warum verleugnen, was offensichtlich ist?
Vielfach erinnert das an entspannte Stücke aus den Übungsräumen der BEATLES oder Paul McCartneys Soloschaffen, wobei Iain Matthews Gesang etwas ganz originäres ist. Die Musik fließt, ein paar rhythmische Schmankerl, wie kleine Ausflüge gen Reggae, lockern das Ganze auf. Das freundliche Album ist bei Windham Hill Records und bei den Pflegern vergangener Genüsse, M.i.G.-Music, sehr gut aufgehoben.
FAZIT: „Walking A Changing Line" ist ein über zweistündiger Ausflug in deine Wohlfühloase. Klangtechnisch überzeugen sowohl das Originalalbum wie die Demo- und Livetracks, inhaltlich hätte man auf ein paar Minuten verzichten können. Doch auch die schwächeren Stücke schmerzen nicht, und es gelingt Songwriter Jules Shear und seinem Singer Iain Matthews über weite Phasen mit spartanischen Mitteln zu brillieren.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 27.04.2017
Iain Matthews, Mark Hallman, Eliza Gilyson
Iain Matthews, Mark Hallman
Mark Hallman
MiG Music
CD1: 56:49/CD2: 77:17
31.03.2017