Dieses Quartett um den Klarinettisten Szymon Klima, der das vorliegende Album auch selbst produzierte, betreibt auf "Free-Folk-Jazz" Vergangenheitsaufarbeitung mit archivarischem, erinnernden Charakter. Die gebotenen Kompositionen bzw. Improvisationen (als solche wirken die Tracks allerdings eher in sich geschlossen als aus dem Stegreif entstanden) gründen auf Liedern aus dem folkloristischen Schatz Polens, die selbst dort mit der Zeit in Vergessenheit geraten sind.
Indes sind sie von Komponist und Ethnograf Oskar Kolberg ("Piesni Ludu Polskiego"), selbst Pole, im 19. Jahrhundert ausnotiert worden, weshalb das Ensemble ihm Tribut zollt. Volkslieder im ursprünglichen Sinn wird man nicht hören auf "Free-Folk-Jazz". Der Name des Ensembles gilt insofern, als es, wie man deutlich hören kann, spontan in der Interaktion entstandene musikalische Elemente zu einem jeweils stimmigen Ganzen verwoben hat. Das Notenmaterial diente ergo nur als Basis, und was daraus gemacht wurde, ist teilweise nicht leicht verdaulich.
Ausgenommen vielleicht der treibende Höhepunkt 'Gasacki' … Davon abgesehen steht immer wieder die klagende Klarinette des Bandleaders im Vordergrund, doch es gibt auch wahnsinnige Percussion-Segmente zu bestaunen, die den fieberhaften Gesamtcharakter unterstreichen. Das 14-minütige 'Oj, Tonela' besteht dann aus langgezogenen Tönen und Drone-Passagen, entrückt dahingetupften Piano-Akkorden und minimalistischer Schlagzeug-Begleitung
Der erst nervöse, dann gelöste Abschluss 'Jej, Od Krakowa (Epilogue)' lässt den Hörer unschlüssig darüber zurück, wie die erzählte Geschichte nun ausging. Die Songtitel übersetzt: 'Hej, Od Krakowa' ("ich verlasse Krakau"); 'Wyjde Ja Na Brzeg Strumienia' ("ich gehe zum Flussufer"); 'Oj, Tonela' ("oh, sie ertrank").
FAZIT: Traditionelles Liedgut ist im improvisatorischen Kontext des IMPROVISATION QUARTET nicht wiederzuerkennen. Die Musiker verweben dramatische Klavier-Kaskaden, den unverkennbaren Sound der Klarinette - oft über hibbelige Triller - und eine reaktionsschnelle Rhythmusgruppe zu einem dramatischen Ganzen, das den Hörer fragend zurücklässt.
dynamisch ist von brüllender Lautstärke bis zu Beinahe-Stille alles drin.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 08.11.2017
Hevhetia
50:18
03.11.2017