Es sind immer die Superlative in den Vorankündigungen zu einem Album, die einen sofort misstrauisch machen und ganz besonders ein Satz wie dieser, der im Zusammenhang mit dem Debüt-Album „Morphin“ von LIAM X fällt:
„Nun erscheint sein Meisterwerk, das die deutsch Popmusik-Industrie auf den Kopf stellen wird!“
Ja – das Album erschien dann am 29. September dieses Jahres und die Popmusik-Industrie steht nicht Kopf! Kein Wunder, denn für deren größtenteils profitgeilen Plattitüden ist „Morphin“ einfach zu gut, was schon das finstere, sehr emotionale „Intro“ und der folgende „Alarm“-Ruf ankündigt.
Nicht dieses ewig gleiche „Erst noch mal die Welt retten“- oder „Ich wünsch dir noch ein geiles Leben“-Tralala, sondern es geht um Themen, auf die man sich konzentrieren, bei denen man zuhören muss und die im Pop-Mainstream so gehörig out sind wie eine Kuscheldecke bei der nächsten Swinger-Party.
Die <a href="https://www.youtube.com/watch?v=utdktk2dois" rel="nofollow">„Natur“</a> wird von LIAM X mit genauso bewegenden Worten wie der <a href="https://www.youtube.com/watch?v=WLcC8zG2wBA" rel="nofollow">„Herbst“</a> besungen – auch wenn das wirklich Electro-Pop im zarten Techno- und Hip-Hop-Gewand ist, was sogar etwas von XAVIER NAIDOO (Allerdings ohne jegliche predigende oder belehrende Note!) hat – es ist einfach gut!
Noch besser ist natürlich, dass „Herbst“ ein Duett mit Egon Holz, den die Insider sicher als Sänger von OK KID kennen, ist, womit auch LIAM X schon durch diese Kollaboration darauf verweist, welche Musik(er) ihm am Herzen liegen, sodass LIAM X und OK KID nicht nur gemeinsam singen, sondern auch in einem Electro-Pop-Bettchen liegen und miteinander kuscheln könnten. Noch dazu sind auch ihre deutschen Texte nicht von der Stange, sondern aus dem Hause K (K steht in diesem Falle für Können!). Später folgt dann ein weiteres Duett mit KRYPTIK JOE von DEICHKIND, die wir gleich bei den beiden mit „einbetten“ dürfen.
LIAM X‘ Laufbahn begann als Produzent, der von Bielefeld nach Berlin zog, dort in verschiedenen Studios arbeitete und Bekanntschaft mit WOODKID, BON IVER und THE NATIONAL machte, die auf seine weitere Entwicklung als Sänger deutliche Spuren hinterlassen haben. BON IVERsche Melancholie trifft auf Indie-rockendes von THE NATIONAL uns den Futur-Hip-Hop-Soul von WOODKID, die ähnlich intensiv in ihren Songs zur Sache gehen wie LIAM X, auch wenn er für sich die „Future-Hip-Hop-Soul“-Schublade als „seine Erfindung“ beansprucht.
Völlig egal, wer‘s erfunden hat, diese Schublade jedenfalls beschreibt die Musik hinter „Morphin“ ausgezeichnet. Oder nennen wir sie einfach <a href="https://www.youtube.com/watch?v=NFIumAQoxws" rel="nofollow">„Morphin“</a> für die Seele, wenn wir mal gerade wieder auf <a href="https://www.youtube.com/watch?v=5QEDfDtxWmU" rel="nofollow">„Sepia“</a> sind. Musik eben, die so gar nicht deutsch klingt, auch wenn es ihre Texte sind.
FAZIT: Die deutsche Popmusik-Industrie wird „Morphin“ von LIAM X nicht auf den Kopf stellen, auch wenn es im Promo-Schreiben zu diesem Album so angekündigt wird. Dafür gibt‘s einen klaren Grund, denn ähnlich wie OK KID ist auch LIAM X einfach zu gut für die deutsche Popmusik-Industrie, die nach singenden Marionetten, aber nicht selbstbewussten Musik-Köpfen, die was drauf haben, sucht.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 10.12.2017
Liam X, Egon Holz, Kryptik Joe, Teesy
Eigenvertrieb
36:00
29.09.2017