Eine Laufzeit von insgesamt vierundsiebzig Minuten hätte die Füllmenge einer Einzel-CD nicht ausgereizt, trotzdem ist die Aufteilung auf zwei Scheiben im Falle von Livio Minafras „Sole Luna“ äußerst sinnig. Der Albumtitel benennt dabei schon beide Seiten: Die gut halbstündige „Sole“ ist der lichtere, energiegeladene erste Part, das (be)sinnliche, nachtschwärmerische „Luna“ mit seinen filigranen Melodien bildet das dunkel-romantische Pendant.
Das prägende Instrument des gesamten Werks ist das Klavier, doch Minafra ergänzt es um die bereits auf der Hülle genannten „Toys“ und eine „Loop Station“. Gelegentlich singt der Musiker lautmalerisch zu den verspielten Klängen. Der Melodica spendiert er Führugszeit, Plastiktüten kommen zum Einsatz, klimperiges Kinderpiano, Glockenspiele und einiges mehr.
Auf „Luna“ gibt Minafra ordentlich Zunder. Die Stücke sind sehr rhythmisch geprägt, „Han E Misha“ simuliert das Geräusch eines fahrenden Zuges, „Rio Solare“ wartet mit Gewitter, elektronisch bearbeiteten Sounds und Scatgesang auf, „Cieli“ zitiert mit Lust und Laune (und Melodica) die Titelmelodie der Simpsons. „Sole“ ist eine prall gefüllter Jazziball, der auf ein Trampolin geworfen wird und dort mit Ausdauer auf und ab hüpft. Minafra spielt ähnlich ekstatisch wie Keith Jarrett in seinen ausgelassensten Momenten, hat sich aber die ruhigen, verträumten Passagen für die zweite Scheibe aufbewahrt. „Sole“ wird dabei nie hektisch oder giftig, ist stattdessen ein Schwelgen in Lust, charmantem Witz und Ausgelassenheit. An einigen Stellen („Madre Stella“) macht sich schon der Einfluss jenes Mannes bemerkbar, für den „Luna“ fast eine Hommage darstellt: Nino Rota.
Eine Handvoll Stücke auf „Luna“ sind Federico Fellini gewidmet. Livio Minafra ist in der Lage dem italienischen Regisseur und seinem musikalischen Direktor Rota selbst in kurzen Stücken die Ehre zu erweisen. Er lässt die melancholische Leichtigkeit von „Julia und die Geister“ („Giulietta degli spiriti“) erwachen und macht glauben, dass tatsächlich so etwas wie traurige Clowns existieren.
Neben den bereits genannten haben auch Claude Debussy und Erik Satie ihre Spuren auf „Luna“ hinterlassen. Livio Minafra spielt mit traumwandlerischer Sicherheit und festem Anschlag, er gibt den Tönen eine Menge Raum sich zu entfalten und zu verhallen. Perkussive Elemente treten auf „Luna“ in den Hintergrund, selbst wenn der große „Zampanò“ herumhampelt, bleibt nachdenkliches Innehalten und das tänzelnde Erforschen der mondhellen Nacht immer präsent. Bontempi, bonne nuit!
FAZIT: Zum Jahresende veröffentlichte Livio Minafra mit „Sole Luna“ ein durchweg mitreißendes solistisches Werk. Mit Klavier, Spielzeugen, Loops und Percussion wild durch einen sonnigen Tag, der später in einer verklärten Nacht an der Seite Federico Fellinis endet. Kategorisierbar als „Piano-Jazz“ und doch viel mehr. Ein oszillierender Traum von einem Doppel-Album.
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 03.01.2017
Livio Minafra
Livio Minafra
Livio Minafra (roland rc-300 loop station, beatbox, mustel celesta, glockenspiel, whistle, plastic bags, basque drum, hohner melodica professional 36, hohner melodica piano 36, korg expander 05r/w, balaphon, smoby piano & more)
Incipit Records/Galileo
CD1: 32:29/CD2: 41:26
02.12.2016