Vier Jahre haben sich NAILED TO OBSCURITY (NTO) Zeit gelassen, bevor sie sich nach ihrem letzten Album „Opaque“, das bereits ein sehr positives Echo hervorgerufen hat, nun mit neuem Material zurück melden. Vier Jahre, in denen sie live u.a. auf Wacken und dem Summerbreeze sicher einige neue Fans an sich binden konnten (zumindest was die rote Röhre an Live-Mitschnitten zu bieten hat, ist qualitativ ziemlich beeindruckend).
Die knappe Stunde, die NTO mit „King Delusion“ zu versüßen wissen, detailliert zu beschreiben würde wohl ein wenig den Rahmen sprengen, gerade, da das Quintett, obwohl sich in der Genrebezeichnung irgendwo das Wörtchen „Doom“ findet, weit davon entfernt ist, ein Riff pro Song auf die ausufernde Größe/Länge und papierähnliche Dicke eines XXL-Schnitzels auszuwalzen, sondern seine Musik mit Abwechslung und Einzelheiten reichlich bestückt, die man am besten selbst entdeckt.
Man nehme beispielsweise das sehr gelungene (übrigens ein Prädikat, das man so ziemlich jedem der acht Songs ans Revers heften könnte) „Protean“: Die Reise beginnt mit einem unwirtlichen Riff, auf dem wie Raureif einer dieser großartigen melancholisch-getragenen Leads liegt, die sich wie ein dunkelroter Faden durch das ganze Album ziehen. Dies weckt intensive Erinnerungen an einen gewissen schwedischen (Blackwater-) Park. Zwar wuchsen in diesem Park wohl keine STACHELSCHWEINBÄUME (noch nicht), aber die Klargesangspassagen, die NTO gekonnt und geschmackvoll in das allgemeine düster-melodische Gewalze einfließen lassen, erinnern in ihrer atmosphärischen und intimen Filigranität nicht wenig an STEVEN WILSON, der beim erwähnten OPETH-Album ja zumindest hinter den Reglern saß.
Als zweites Beispiel sei hier „Memento“ genannt, erneut mit dem Hinweis, dass man, vielleicht abgesehen von „Devoid“, das einen zwar beeindruckt, aber mit dem Gefühl, dass hieraus sogar noch mehr hätte werden können, zurücklässt, im Grunde jedes der acht (eigentlich sieben, denn „Apnoea“ ist eher eine Überleitung als ein echter Song) Stücke herausgreifen und loben könnte:
Nach einem schwirrenden Gitarrenintro präsentiert Sänger Raimund auf majestätischen PARADISE-LOST-Riffs passende Dicke-Hose-Growls – Mann! Der Mensch hat eine Stimme!
Doch ehe man sich‘s versieht, wird man beiseite genommen und bekommt traurige Wahrheiten ins Ohr geflüstert, eingesponnen in dezente Keyboard-Klänge. Doch nicht zu lang: Wieder hinauf, auf dieses majestätisch walzende Riffing, wie auf ein Plateau, das immer wieder von komplexer Rhythmik erschüttert wird und auf dem Raimund mit einer an MGLAs M. erinnernden Intensität seine Vocals der verdunkelten Sonne entgegenschleudert… hach…
Bevor ich mich noch weiter in schmachtenden Lobgesängen verzettle:
FAZIT: NTO haben den G-Punkt von Erhabenheit und Melancholie gefunden und bearbeiten ihn fachmännisch, mal massierend, mal streichelnd, mal trampelnd. Wer mit (den frühen) OPETH, KATATONIA, TRIPTYKON, (den neueren) PARADISE LOST und (unter Umständen) DARK TRANQUILITY oder AMORPHIS etwas anfangen kann und sich nicht um diese herzallerliebste Platte kümmert, ist selbst schuld!
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 22.01.2017
Carsten Schorn
Raimund Ennenga
Jan-Ole Lamberti, Volker Dieken
Jann Hillrichs
Apostasy Records
55:45
30.12.2016