Flirrende Gitarrenwände, wuchtiges Schlagzeug, Hall und Reverb, Kopfstimme und massig Melodie sind stets zuverlässige Symptome des typischen alternativen Rocks aus deutscher Schmiede. PHYRIA reißen in diesem Farbenspiel nicht aus dem Regelwerk aus, beherrschen es aber durchaus gekonnt: Mögen die 65 Minuten von „The Colors Among Us“ vielleicht erschlagend wirken, aber über eine zu geringe Dichte an ausgefeilten Kompositionen mit spannenden Übergängen kann man sich wahrlich nicht beschweren.
Das lässt sich zuverlässig daran ablesen, dass schon zur Mitte der Laufzeit ein Gefühl der Befriedigung eintritt, so als habe man bereits ein ganzes Album hinter sich gebracht. Hetzend könnte man natürlich einwenden, dieser Eindruck rühre daher, dass jeder einzelne Song den Gestus eines dramatischen Finales an den Tag legt. Die Niederrheiner sind so etwas wie der Kerl mit dem Neonmarker, der wichtige Stellen in trockenen Textblöcken anstreicht und die Semantik der Schlüsselsätze damit zum Leuchten bringt; oder wie der alte Mann auf der Parkbank, der bedeutungsvoll auf ein tanzendes Blatt im Wind deutet.
Über einen vom Pathos dergestalt beherrschten Ansatz lässt sich trefflich streiten, das eigentliche Songmaterial räumt jedoch viele Zweifel aus dem Weg. Anders als das Gros ähnlich getakteter Gruppen geben sich PHYRIA nicht nur mit schlichten Bögen und einfach durchschaubaren Strukturen zufrieden, sondern schielen durchaus auf anspruchsvolleres Handwerk. Zwar lässt sich speziell die Auskopplung „mono:chromatic“ ob seines zugänglichen Äußeren relativ leicht der Single-Schublade zuordnen und erfüllt auch durchaus seinen Zweck als repräsentativer Album-Trailer, doch gibt er keinen Hinweis auf die vielen kleinen Wege, die sich jedes der elf Stücke auf dem Weg zum emotionalen Ausbruch bahnt.
Gerade sie sind es in ihrer Vielfalt, die dafür sorgen, dass einem die Stücke nicht nach zwei Durchläufen schon zu den Ohren heraushängen. Härte bedeutet im Albumkontext lediglich gesunden Druck und keinen Schwanzvergleich - speziell „We Left The Old World“ spielt vorbildlich mit verschiedenen Härtegraden in Punkto Rhythmik und Lautstärke. Vor allem aber bedeuten sanfte Passagen nicht gleich Leerlauf und / oder Kitsch. Dazu sind einerseits die Melodien zu prägnant, andererseits der Experimentierdrang zu groß, denn selbst auf dem meist weniger beachteten Level von Bass und Percussion werden durchgehend Spielereien eingeflochten, die das eher konventionelle Gerüst angenehm auflockern. Noch dazu ist Benjamin Hammans ein Sänger, dessen Stimme zu dem expressiven Stil seiner Band vorzüglich passt (in der Natur der Sache liegt es, dass der permanente Wechsel von der Bruststimme zu Falsett und zurück eine Sache des Geschmacks ist). Auf „This Is Goodbye“ geht er sogar in ein wohlklingendes Duett mit einer Gastsängerin.
FAZIT: Ironisch, dass erst der Abschlusstrack „The One I Know“ so klingt, als wolle man jetzt mal so richtig loslegen, denn „The Colors Among Us“ ist insgesamt ein Album voller Ausklänge und melancholischer Fade-Out-Melodien. Doch Obacht – langweilig ist das nicht. Die Arrangements weisen eine hohe Dynamik auf und bieten in der guten Stunde Laufzeit sogar beinahe schon etwas zu viel. Der dargebotene Alternative Rock erfindet seinesgleichen nicht neu und ist soundtechnisch so etwas wie ein Grundnahrungsmittel für sein Zielpublikum (mit reichlich Ballaststoffen), peppt bekannte Muster aber mit ausgefeilten Songstrukturen auf und setzt diese äußerst überzeugend um, ohne allzu starke Abnutzungserscheinungen auszulösen. Klarer Fall von: Nicht sooo viel erwartet und doch einiges bekommen.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 22.01.2017
Fabian Swars
Benjamin Hammans, Jonas Janßen, Beray Habip, Alina von der Gathen
Jonas Janßen
Michael Zettl
Kick The Flame
65:30
07.10.2016