SEETHER werden volljährig und das wird deftig gefeiert. Der neben PETER GABRIEL, DAVE MATTHEWS und DIE ANTWOORD größte Exportschlager Südafrikas erfreut sich bester Gesundheit, zumindest wenn man dieser Beobachtung die Klickzahlen im Netz zugrunde legt. Kritiker hingegen konnten sich mit den letzten beiden Alben kaum anfreunden, zu deutlich kippte das neue Material in Richtung Radio, das selbst dem Alternative Metal US-amerikanischer Prägung als Feindbild dient. Diesen Schuh wollen sich SEETHER nicht mehr länger anziehen und lassen dabei auf Worte Taten folgen.
Abermals sprechen Shaun Morgan & co. im Bezug auf ein neues Album von einer „Befreiung“, doch dieses Mal fällt der Einschnitt deutlich drastischer aus. Ging es im Vorhinein um die Wahl des Produzenten oder das Pflegen der eigenen „Fuck You-Attitüde“, hat sich Frontmann Morgan nun zur Gründung eines Labels entschlossen. Den Grundstein dieser Institution bildet „Poison The Parish“, das nunmehr siebte SEETHER-Album, bei dem die Band zum ersten Mal von der Produktion bis zur Vermarktung (fast) alle Fäden selbst in der Hand hält. Ob sie sich nun wirklich von den Erwartungen der Labels freigemacht haben oder die neue Freiheit als Möglichkeit zur Aufpolierung des eigenen Images sehen, um nicht doch noch zum NICKELBACK-Klon zu verkommen: Der Ansatz gefällt.
SEETHER werfen massig Ballast ab und vertrauen auf ihre Kernkompetenzen: Kaum Streicher, keine Einspieler, alleine das Zusammenspiel aus Gesang, Gitarre, Bass und Schlagzeug soll überzeugen. Die harte Interpretation der neuen Songs unterstreicht den Anspruch, die eigene Popaffinität wieder stärker in der Schnittstelle von Hard Rock und Metal zu verorten. In diesem ominösen Genre namens „Post-Grunge“ geht die Band damit einen durchaus mutigen Schritt, denn entweder wird er von den Kollegen erst gar nicht gewagt oder er misslingt ihnen völlig. Doch bei SEETHER könnte die Rechnung tatsächlich aufgehen.
Shaun Morgan hat kräftig an den Reglern gedreht und gibt im Zweifelsfall Energie den Vorzug vor Perfektion. Nicht, dass auf „Poison The Parish“ nicht alles bombastisch und poliert klingt, doch SEETHER stehen zu ihren Ecken und Eigensinnigkeiten und das ist genau das, was den beiden Vorgängern gefehlt hat. Die Instrumente sind etwas rauer und lauter als auf anderen Genreveröffentlichungen, was auch auf ein stärkeres Selbstbewusstsein an der Rifffront hinweist. Der Refrain ist nicht mehr der unverrückbare Mittelpunkt eines Songs, was die Band zu entkrampfen scheint. Neben dem einen oder anderen interessanten Riff ist es vor allem der Bass, der mit seiner drückenden Präsenz und seinen kleineren Ausflügen zu gefallen weiß.
Vom Südstaatenflair, aus dem ‚Country Song‘ als prominentestes Beispiel im Gedächtnis geblieben sein dürfte, ist hauptsächlich der massive Groove übriggeblieben, den SEETHER genüsslich zelebrieren. In diesen Kontext eingerahmt, funktioniert die poppige Seite des Bandsounds gleich viel überzeugender. Vielleicht liegt es am Erfolg der Genrekollegen ALTER BRIDGE, die zeigen, dass sich beide Pole nicht gegenseitig ausschließen müssen, sondern – ganz im Gegenteil - hörenswert zusammenwirken können. Auch wenn die Ballade ‚Against The Wall‘ nicht unbedingt zum Highlight des Albums zählt, gebührt der Band Respekt, dass sie weiterhin zu ihren Vorlieben stehen und sie auch auf einem relativ harten Album unterbringen.
„Poison The Parish“ lebt von der Abwechslung, die sich trotz der abgespeckten Instrumentierung einstellt, vor allem aber von den harten Rockern, die die Kontraststärke auf angenehme Weise erhöhen. Besonders mit der Vorabsingle ‚Let You Down‘ haben SEETHER den obligatorischen Hit abgeliefert, der in diesem Fall TOOL und DEFTONES verbindet, durch den Refrain aber die nötige Eigenständigkeit erhält. Die Hitdichte ist zwar verhältnismäßig überschaubar, doch dieses Mal wiegt das Albumerlebnis schwerer. Aufs Wesentliche bedachte Songs (‚Stoke The Fire‘, ‚Betray And Degrade‘), stehen neben Halb-Balladen (‚Against The Wall‘, ‚Let Me Heal‘) und kleineren Experimenten (‚Saviours‘, ‚Emotionless‘) und sorgen für abwechslungsreiche 46 Minuten.
Durch die abermals korrigierte Ausrichtung bekommt Shaun Morgan auch musikalisch Freiheiten, die eher seinem Naturell entsprechen. Seine Texte sind schon immer etwas dunkler ausgefallen als die der Genrekollegen, nun gelingt aber auch die Verbindung zur Musik wieder besser. Der Frontmann kann die volle Bandbreite seines markanten Stimmapparates ausspielen und verbindet gekonnt Popappeal mit Reibeisen. Alles, was darüber hinaus geht, hängt am Genre, das SEETHER bedienen. Die Südafrikaner zitieren munter ihre US-amerikanischen Vorbilder zwischen DEFTONES, P.O.D., BLACK LABEL SOCIETY, BUSH & co. und verbinden das Ganze mit Alternative Metal, der sich seit fast 20 Jahren kaum verändert hat. Die Texte sind dementsprechend nicht sonderlich originell, die Musik weist kaum über sich hinaus, aber wer auf der Suche nach simpel strukturierten Genresongs ist und in letzter Zeit ein wenig die Härte vermisst hat, dürfte mit SEETHER anno 2017 glücklich werden. Und damit war nicht mehr unbedingt zu rechnen.
FAZIT: SEETHER wagen mit eigenem Label den Schritt in die Autonomie und begreifen das Ganze als Befreiungsschlag. Gemessen am neuen Album „Poison The Parish“ ist den Südafrikanern dieser Schritt gelungen, weil sie sich auf ihre Stärken besinnen: Einfache Alternative Metal/Rock-Songs ohne Schnickschnack, aber mit Härte und Popappeal. Die Hitdichte ist überschaubar und das Album nicht auf einem durchgängig hohen Niveau, doch das Material ist abwechslungsreich und gefällt, weil es sich eben nicht verkrampft nach Radio ausrichtet. SEETHER haben damit einen guten und teilweise mutigen Genrebeitrag eingereicht, nicht mehr, aber definitiv auch nicht weniger.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 14.05.2017
Dale Stewart
Shaun Morgan
Shaun Morgan
John Humphrey
Canine Riot/Spinefarm
46:26
12.05.2017