Was heute mit dem Etikett "Neo Soul" auf den Markt geworfen wird, ist oft wenig neu, sondern im Gegenteil äußerst retrospektiv und irgendwie redundant, wenn man als Hörer nicht gern in der Referenzhölle schmort. Einen weiteren zwielichtigen Vertreter dieser Zunft begrüßen wir nun mit WINSTON SURFSHIRT aus Australien, die im gegebenen Rahmen alles richtig machen und doch unbefriedigt zurücklassen, wenn man sich halt nicht mit Standards und Pflichterfüllung auf Seiten einer Musikgruppe zufrieden gibt.
Ergo: Anspruchsvolle Hörer, die zudem Musikgeschichte verinnerlicht haben, durchschauen das Sextett rasch. Souliger Prince-Funk steht an der Tagesordnung, bemüht sexy, anachronistisch und scheinbar analog mit standesgemäß androgyner Stimme im Vordergrund. Die Mitglieder tragen alberne Pseudonyme, die zu ihrer vermutlich durchaus lieb gemeinten, aber irgendwie doch unangenehm ironisch wirkenden Hommage passen. Die Formation hat bereits Aufnahmen für eine EP mit Dave Jerden hinter sich, einem Mischpult-Schwergewicht und bekannten der ROLLING STONES oder RED HOT CHILI PEPPERS, und diese nie veröffentlicht, wobei man über die Gründe dafür spekulieren darf. Vielleicht ist es aber auch nur Promo-Gewäsch.
Die eigene Inszenierung ist ja bei solchen Fällen wie diesem ohnehin die halbe Miete. Um die Substanz ist es nüchtern betrachtet schlecht bestellt, wenn man sich ständig an andere erinnert fühlt, statt wirklich davon überzeugt zu sein, gerade eine aktuelle Band zu hören. 'TwennyFive' mit dem amerikanischen Rapper Eric Biddines ist besonders glatt oder "smooth" ausgefallen, wie man das im Mileu so treffend sagt, und steht exemplarisch für die Stoßrichtung von WINSTON SWEATSHIRT generell.
Elegante Bläser wie in 'Ali D' erregen nicht unbedingt Aufsehen, sind aber charmante Farbtupfer, genauso wie Sprech- bis Frauenchorgesang, Jazz-Loops und weitere kuriose Einzelheiten, deren Wahrnehmung sich unterm Kopfhörer empfiehlt. Davon abgesehen ist das Material (natürlich) auch unterschwellig tanzbar, ausgenommen vielleicht das beinahe schmalzige 'Nowhere'.
Im Großen und Ganzen hätte "Sponge Cake" den einen oder anderen Popo-Treter gebraucht, denn so ist eine relativ gleichbleibende Soundkulisse entstanden, in der zwar alles seinen Platz hat, der Höreindruck aber schnell gefestigt und nicht mehr negiert wird. Will heißen: Nach zwei, drei Songs weiß man Bescheid, was im weiteren Verlauf geschehen wird, so trickreich das alles auch eingefädelt wurde.
FAZIT: Im Sextett realisiert und klanglich doch sehr aufgeräumt kommt "Sponge Cake" daher, bisweilen sogar nachgerade minimalistisch in Szene gesetzt. Samples vom Telefon-Freizeichen über Filmzitate bis aus Liedfetzen, die der Hip-Hop-Tradition gemäß von den Riesen entlehnt wurden, auf deren Schultern WINSTON SURFSHIRT stehen, prägen die Songs auf diesem Debüt sehr stark, das der Soul-Pop-Tradition peinlich sklavisch verhaftet bleibt.Die Stimmung: eintönig zum Wohlfühlen, und man muss beinharter Fan solcher Muzak sein, um die Scheibe über den kurzfristigen Aha-Effekt hinaus gut zu finden.
Punkte: 7/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 30.12.2017
Sweat It Out / S.I.O.
41:44
01.12.2017