Ich spüre sie schon, die ersten Reaktionen auf diese Review:
„Äh, was soll‘n das? ‘Ne Filmkritik unter den Musikreviews? Die sind doch ‘ne Musikseite! Spinnen die!?“
Nein, die spinnen nicht, denn längst haben wir uns den unterschiedlichsten Richtungen geöffnet: Büchern, Filmen, Hörbüchern, sogar Computerspielen oder Apps – einzige Voraussetzung dabei, es muss auch Musik eine Rolle darin spielen, auf die wir eben intensiver eingehen, als die sich auf spezielle Kunstrichtungen spezialisierten Seiten.
Ja, wir sind eine Musik-Seite, aber ohne jegliche Scheuklappen oder zu hohe Tellerränder und darum nehmen wir uns hier und heute die erste Staffel der Serie „ZARAH – Zehn wilde Jahre“ vor, die einen als Musikbegeisterten der Frühsiebziger im Grunde sofort neugierig machen sollte, denn sie beginnt mit <a href="https://www.youtube.com/watch?v=rOpQjD-rX0g" rel="nofollow">„Break On Through“ von den DOORS</a> und endet nach dem sechsten Teil melodramatisch mit <a href="https://www.youtube.com/watch?v=_1jL8A20H_k" rel="nofollow">„The Great Gig In The Sky“</a> - ganz genau dem weiblichen Vokal-Vulkan von PINK FLOYDs „The Dark Side Of The Moon“ und ausgerechnet dem einzigen Song, den Schlagzeuger NICK MASON jemals für die Alben seiner Stammband beigetragen hat.
Na, da muss man doch neugierig werden, oder?
Gerade aus musikalischer Sicht wird diese Neugier auf‘s Intensivste befriedigt, ob das nun DEEP PURPLE oder LED ZEPPELIN, T.REX oder THE MAMAS AND THE PAPAS, ERIC BURDON oder die ROLLING STONES, CURTIS MAYFIELD, JONI MITCHELL, ARETHA FRANKLIN, SIMON & GARFUNKEL und sogar <a href="https://www.youtube.com/watch?v=UIVe-rZBcm4" rel="nofollow">das unglaubliche „In-A-Gadda-Da-Vida“ von IRON BUTTERFLY</a> sind, diese sechs Teile der ersten ZARAH-Staffel sind eine echte Musikfundgrube des guten Geschmacks, die maßgeblich zum Gelingen dieser guten, vom ZDF wegen unerfüllter Erwartungen viel zu schnell abgeschriebene Serie über eine überemanzipierte Journalisten im kleinbourgeoisen, scheinheiligen westdeutschen (genauer Hamburger) Mief und besonders des (musikalischen) Zeitverständnisses beiträgt.
Natürlich darf aber auch eine ZARAH LEANDER als musikalische Beigabe nicht fehlen, denn wenn eine Serie so viel Musik aufweist, wie ZARAH, ja, dann muss es da doch gleich auch im Titel einen musikalischen Bezug geben...
Die Handlung der Serie ist schnell zusammengefasst, eben auch weil sie so schön provoziert. Zarah Wolf (sehr überzeugend gespielt von Claudia Eisinger), eine mal sympathische, dann wieder total unsympathische, sehr emanzipierte Frau, Schriftstellerin und Journalistin steigt durch den Verkaufserfolg ihrer Bücher als Stellvertretende Chefredakteurin im Jahr 1973 bei einer sehr „titten“- und dadurch umso erfolgreicheren Wochenzeitschrift ein und beginnt den typisch männlich dominierten Erfolgsladen mit ihrem Emanzen-Gehabe sowie ihrer nicht gerade sympathisch wirkenden Kompromisslosigkeit gehörig aufzumischen.
Man stelle sich einfach mal vor, eine Alice Schwarzer – deren Züge man deutlich auch in Zarah Wolf erkennt – würde den „Playboy“ als Stellvertreterin des Sexy-Hasen-Chefs übernehmen und den Playboy-Häschen etwas über Frauenrechte, Abtreibungsparagraphen und wie schön es doch ist, lesbisch zu sein, erzählen wollen. Und auch wenn die ihr nicht wirklich zuhören bzw. folgen wollen, entfernt sie gleich das erste „Titten“-Frontbild von der Zeitschrift und ersetzt es durch einen berühmten nackten Musiker mit umgehängter Gitarre, deren Hals wie ein erigierter Pimmel aussieht.
Natürlich macht sich Zarah damit nicht gerade viele Freunde, doch genau das ist die Absicht der engagierten und wie‘s scheint ziemlich männerverachtenden Journalistin, die zugleich auch gehörig bei einigen Themen – besonders dem Umgang mit der RAF, bei der ihre ehemalige Freundin aktiv ist – übers Ziel hinausschießt. Natürlich kommen zusätzlich die nicht bewältigte bundesdeutsche Nazi-Vergangenheit sowie Alkoholismus, Drogen, Nikotin, freie Liebe, der alltägliche Chauvinismus dieser „Frauen gehören hinter den Herd“-Gesellschaft – das alles mit bereits besagter hervorragender Musik mal hinter-, aber auch vordergründig umrahmt – zur Sprache.
Ganz hervorragend sind hierbei neben den vielen musikalischen Beiträgen auch die dokumentarischen Originalausschnitte aus dem Jahr 1973, die geschickt als Szenen-Übergänge in die einzelnen Serien eingefügt werden. Das macht „Zarah - Wilde Jahre“ besonders authentisch.
Absoluter Schwachpunkt dieser Doppel-DVD, bei der die ersten vier Folgen auf DVD 1 und die letzten zwei Folgen plus dem lächerlichen Bonus zweier entfallener Szenen auf DVD 2 enthalten sind, ist genau dieser Bonus-Teil.
Was hat man sich da nur alles vergeben?
Statt noch etwas Dokumentarisches zu der Zeit und der Musik und der Denke damals sowie den in den Folgen aufgegriffenen journalistischen Schwerpunkten (RAF, Abtreibung, Vergangenheitsaufarbeitung, Drogen, Feminismus, Politik usw.) zum besseren Verständnis auch für diejenigen, die damals noch nicht lebten oder in der DDR völlig Anderes erlebten, hinzuzufügen, was für das ZDF eigentlich kein Problem hätte sein dürfen, gibt‘s tatsächlich nur die zwei völlig überflüssigen Szenen zu sehen.
Da haben sich Edel:Motion und das ZDF absolut nicht mit Ruhm bekleckert. Hier wurde die große Chance vergeben, auch bei denjenigen Interesse für die Zeit der Siebziger zu wecken, die vieles von dem, was sie in den sechs Folgen der 1. Staffel von „Zarah – Wilde Jahre“ gesehen und gehört haben, nicht einordnen können.
Doch gerade dafür sollte eigentlich der zusätzliche Platz, den zwei DVDs bieten, unbedingt genutzt werden, oder?
FAZIT: Eine gute TV-Serie mit hervorragender Musik über eine Journalistin, die sich im Jahr 1973 als übereifrige Emanze gegen das miefige, kleinbürgerliche Patriarchat in der Redaktion einer der größten deutschen Wochenzeitschriften durchzusetzen versucht. Die Serie ist so gut, dass sie vom ZDF bereits nach der ersten Folge von einem Hauptsendeplatz auf die Mitternachtsschiene verbannt wurde. Und das spricht in diesem Falle tatsächlich rundum für die gute Qualität von „ZARAH – Wilde Jahre“, auch wenn sich bei den unbefriedigenden Boni der Doppel-DVD viel vergeben wurde.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 14.12.2017
Edel:Motion
ca. 300 Minuten
27.10.2017