Wer erinnert sich eigentlich noch an EDWARD SNOWDEN?
Das ist der Typ aus Amerika, der als Whistle-Blower in der Hoffnung auf einen Obama alles auf eine Karte setzte, den Menschen in der Welt zeigte, dass sie in ihren privatesten Bereichen überwacht und beobachtet werden und für den ein Trump anfangs gar die Todesstrafe forderte. Obama bekam dann den Friedensnobelpreis und Snowden russisches Exil. Sein Mut hatte sich nicht ausgezahlt – und wir wurden so endgültig zum <a href="https://www.youtube.com/watch?v=ZEYjutlqo8M" rel="nofollow">„Mensch aus Glas“</a>, wie ihn ZWEI VON MILLIONEN gleich zu Beginn ihres Albums „-------“ besingen: „Nur ein Mensch – aus Glas – Wir wissen alles über dich / Wer wir sind, weißt du nicht – wir wissen alles über dich.“
Das ist doch ein großartiger, wenn musikalisch auch verdächtig nach ICH & ICH klingender, Anfang für ein Album, oder?
Aus textlicher Sicht allemal, der musikalische Aspekt aber ist leider am Ende nur austauschbarer Electro-Pop-Radio-Schrott, der den Namen der Band fast zum Programm werden lässt, selbst wenn sich dahinter zwei bekannte Größen verbergen: die Singer/Songwriterin EVA CROISSANT und FELIX RÄUBER von POLARKREIS 18, einer am Ende (vor ihrer dauerhaften Pause) schrecklich bieder-austauschbaren Synthie-Popband, <a href="http://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/rockpalast/video-polarkreis----dreamdancer-102.html" rel="nofollow">die in ihren Anfängen als große Hoffnung im experimentierfreudigen Stil der PET SHOP BOYS</a> begannen.
Selbst den (erhofften) Anspruch von ICH & ICH können ZWEI VON MILLIONEN im weiteren Verlauf des Albums nicht mehr halten. Und wenn ein osterprobter Pop-Freund glaubt, dass wir mit „König der Welt“ eine über sieben Brücken gehende Cover-Version von KARAT bekommen, so irrt der. Schade, denn das wäre zumindest eine angenehme Abwechslung nach all dem technoiden Pop-Gestampfe.
Warum nur hat man nicht versucht, auch in ähnlichem POLARKREIS 18-Früh-Stil als ZWEI VON MILLIONEN fortzusetzen, wo „-------“ fast als deutschsprachiges Konzept-Album durchgehen könnte, was Hochachtung verdient. Es geht um die Identität des Menschen, die sich in realen und digitalen Welten bewegt, um sich am Ende selbst zu verlieren. So mutet es zugleich seltsam an, dass die eigentliche Schreiberin der Texte nicht etwa Eva, die Sängerin und Liedermacherin, ist, sondern JOVANKA VON WILSDORF, die auf ein paar Songs Keyboards spielt oder die Synthies bedient. So sind es also mindestens Drei von Millionen, die maßgeblich an dem Album mitwirkten, und die beste davon – die Texterin – wurde einfach unterschlagen. Mit diesen aussagekräftigen Texten und besserer, nicht so austauschbarere Elektro-Pop-Musik hätte ein richtig gutes deutsches Pop-Album mit Tiefe entstehen können und nicht im abgelutschten POLARKREIS 18-Spät-Stil mit weiblichem, nicht wirklich weltbewegendem Gesang.
<a href="https://www.youtube.com/watch?v=WRYQGx4-TNM" rel="nofollow">„Auf deine Freiheit“</a>, der bisher erfolgreichste Song des Duos, ist zugleich das beste Beispiel für die Schwächen des Albums. Der Song biedert sich mit Drumcomputer-Wummern, banalen Tanzrhythmen und einem durchgängigen lustigen Tralala bei jeder Radio-Mainstream-Station an, während der Text deutlich mehr zu sagen hat und keinesfalls mit lustigem, feuchtfröhlichen Einheitspop verwässert werden sollte.
Ähnliches gilt für die Stampf-Rhythmen von <a href="https://www.youtube.com/watch?v=oIqeWnT0ctM" rel="nofollow">„Mensch 2.0“</a> - die Songs klingen so austauschbar und wiederholen sich, als hätte man das Komponieren einem Computer überlassen, der ständig die gleichen bzw. ähnlichen Rhythmen ausspuckt, während auch der Gesang immer fein auf männlich-weibliche Wechsel- und „Ohoho“-Gesänge abgestimmt wird. ZWEI VON MILLIONEN Wiederholungen pur eben, die sich über das gesamte Album erstrecken.
FAZIT: „ZWEI VON MILLIONEN, das ist wahrhaftiger Pop. Tanzbar und mit Tiefenwirkung“, heißt es im Promo-Text zu dem deutschen Synthie-Pop-Duo. Pop stimmt! Warhaftig stimmt nicht! Tanzbar stimmt! Tiefenwirkung stimmt nicht, denn die gilt nur für die guten, einem Konzept folgenden, deutschen Texte. Ansonsten bleibt die Musik im Mainstream von Computer-Rhythmen stecken und steht im Grunde genau für das, was in den Texten angegriffen wird.
PS: Bei der Bewertung des Albums muss man deutlich zwischen Musik und Text unterscheiden, auch wenn am Ende ein Mittelwert steht – darum hier konkret:
Texte insgesamt 12 Punkte;
Musik insgesamt 6 Punkte.
So kommt doch noch eine recht hohe Wertung heraus, die jeder für sich selbst entsprechend gewichten sollte.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 21.08.2017
Jannik Drechsel
Eva Croissant, Felix Räuber
Levin Siert, Philipp Makolies, Jovanka v. Wilsdorf
Clemens Christian Pötzsch, Jovanka v. Wilsdorf
Guido Scharmer (Cello)
Electrola/Universal
50:51
01.09.2017