ABRAHAM, von Tourneen mit u.a. The Ocean in bester Erinnerung behalten, gehen langsam auf die zehn Jahre zu, stecken aber beileibe nicht mehr in Kinderschuhen, sondern legen mit diesem dystopischen Doppel-Konzeptalbum ein Monumentalwerk vor, das einen vorläufigen und schwer überbietbaren Höhepunkt in ihrem Schaffen markiert.
Die Schweizer verbreiten auf wahlweise zwei CDs oder vier LPs verteilt mit einem fiktiven Geschichtsweg Endzeitstimmung, der aktuell nicht abwegig erscheint. Die Songs auf "Look, Here Comes The Dark!" wurden in vier geochronologische Epochen segmentiert. Die erste - "Anthropocene", also das Zeitalter des Menschen, unsere andauernde Gegenwart - steht für den Niedergang der Zivilisation und den Ausbruch anarchischer Zustände bei gleichzeitigem Orientierungsverlust. Nach der schleppenden Elegie 'Ride the Last Sunrise' brechen sich zum Ausdruck dieser Zustände mehrere phasenweise schnelle, wütende Stücke Bahn, die brutal und direkt mit viel Geschrei nach vorne losgehen. Bei aller Schroffheit und trotz des dreckigen Sounds bleiben ABRAHAM raffinierte Komponisten und Arrangeure, die das hereinbrechende Chaos auf verschiedenen Wegen zu vertonen wissen, sei es mit enervierend fiependen Synthesizern oder verworrenen Stimmen wie in 'Hyperoïne', das die gesellschaftliche Kopflosigkeit zu illusstrieren scheint.
In der zweiten Epoche, dem "Phytocene", verschlingt die Natur jegliche stehengebliebenen Bauwerke als klägliche Versuche des Menschen, sie zu bändigen, gleichwohl der Fauna selbst ebenfalls das Aussterben droht. Dementsprechend wuchern die betreffenden Tracks nachgerade und machen die allseitige Erstickung spürbar, etwa mit dem tief pulsierenden 'Silent at Last', der akustischen Entsprechung des letzten Aufbäumens der Pflanzenwelt: dschungelfiebrig, Bass-lastig, menschenfeindlich.
Bereits die Drones von 'To The Ground' oder das merklich kälter klingende 'Dead Cities' deuten allerdings bereits den nächsten Schritt an. Bevor es dazu kommt, gibt es zum Ende von Teil eins einen standesgemäßen Klimax: das neunminütige 'Rise Goddess' mit geradezu black-metallischer Rasanz als mustergültige Demonstration der stilistischen Vorzüge und Eigenheiten ABRAHAMs - allen voran janusköpfige Vocals: Während Schlagzeuger David Haldimann herzzerreißend singt, grollt und brüllt Frontmann Olivier Haehnel unheilvoll wie der Totengräber allen Lebens persönlich.
Das "Myocene" markiert die Entstehung eines Riesenpilzes mit Bewusstsein, der sich anschickt, uns endgültig auszurotten. Im Sinne dieser Vorstellung von einem bislang unbekannten Organismus mit Verstand lässt sich die Gruppe auf das Fremde in der Musik ein - Klangexperimente mit erdrückenden Disharmonien einer- und konträr dazu manchem lichten Moment ('All the Sacred Voices') andererseits. Dieser Dualismus wirft mit 'Sanctuaire' eines der im wahrsten Sinn des Wortes schönsten Stücke der Band bislang ab, wovon sich wiederum die noisigen Zwiegespräche 'Errant' und 'Vulvaire' absetzen, in denen die beiden Stimmakrobaten völlig neben sich stehen, so wie es sich anhört.
Der Ausdruck "Oryktocene" (abgeleitet von einem griechischen Begriff für "Erz" oder "Mineral"), den ABRAHAM für die letzte Phase verwenden, ist auf die Erde als toten Stein gemünzt, der durchs All kreist. Passenderweise zeichnen die Musiker spätestens ab dem Quasi-Funeral-Doom von 'Wind' (gleichwohl mit programmatischem Post-Metal-Knurren-durch-Klos-im-Hals) karge Soundlandschaften, die in ihrer minimalistischen Art dennoch überwältigen. Die letzten Überlebenden brechen auf, um die Pest, die der Mensch ist, anderswo in der Galaxie zu verbreiten; ABRAHAM illustrieren diese trockene Feststellung, indem sie 'Space Departure' genüsslich zehneinhalb Minuten lang auswalzen und in schierem Lärm ausklingen lassen - eine Bestätigung des Titels des Albums, der vor dem Hintergrund der Story zutiefst zynisch anmutet.
FAZIT: Ein ultimatives Statement in Sachen apokalyptischer (nicht nur) Gitarrenmusik? Fest steht, dass ABRAHAM allein wegen des Mehr an allem, das "Look, Here Comes The Dark!" bietet, einen bleibenden Eindruck hinterlassen werden. Cult Of Lunas Vielproduzierer Magnus Lindberg hat hinterm Studiomischpult gestanden, und es hätte vermutlich niemand besseren für den Job geben können. Die Scheibe raubt alleins schon aufgrund der schieren Fülle von Ideen, die aus der Band gesprudelt sind, den Atem; enstand sind daraus jedoch einzelne Stücke, die ohne weiteres außerhalb des Kontexts bestehen können, und zugleich ein Gesamtwerk, das mit tieftraurigen Gitarrenmelodien, den stilprägenden "walls of sound", jazzigem Freigeist (nicht Elemente eines Genres Jazz) sowie einer idealen Verschmelung von Metal-Kalkül und Hardcore-Impulsivität das letzte Wort zum Thema Post Rock sagen mag. Andererseits stellt sich danach noch eine Frage, und zwar sowohl auf die Erzählung als auch ABRAHAM selbst bezogen: Was soll hiernach noch kommen? <img src="http://vg08.met.vgwort.de/na/1d2c19ffa5554bc78beacdd8ee9d8f15" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 11.05.2018
Pelagic / Cargo
111:54
11.05.2018