<b>"Ich denke, dass angesichts der momentanen politischen Situation mit all den Schwierigkeiten und der Dunkelheit in der Gesellschaft, sowohl in Europa als auch Amerika, Stuarts Texte auch heute noch viel Bedeutung haben. Sie sind prägnant und betrachten düstere politische Situationen, sind aber gleichzeitig mit Musik verbunden, die wirklich erhebend ist. Es ist Musik, die irgendwo prophetisch ist – vielleicht war Stuart so etwas wie ein Prophet. Das ist eine der Stärken von BIG COUNTRY und warum wir auch heute noch relevant sind.“</b>
Als BRUCE WATSON, Gründungsmitglied und Leadgitarrist von BIG COUNTRY, diese Worte aus Anlass der Veröffentlichung dieser beiden Rockpalast-Auftritte der schottischen Band aussprach, war Stuart Adamson, Sänger, Keyboarder und Rhythmusgitarrist der von ihm gegründeten Band, bereits seit 17 Jahren tot – nach schweren Alkoholproblemen erhängte er sich im Jahr 2001 in einem Hotelzimmer in Honolulu.
Allein unter diesem traurigen Blickwinkel erscheinen diese beiden sehr guten Rockpalast-Auftritte von BIG COUNTRY 1986 in Essen und 1991 in Bonn noch etwas historisch wertvoller und in gewisser Weise zugleich bedrückender, auch wenn der Sound des 86er-Auftritts nicht gerade spektakulär und etwas sehr dumpf ausfällt. Was soll‘s, man kann damit leben und besser als Bottleg-Niveau ist er allemal.
Noch dazu gibt es die beiden Konzerte in einem fetten Digipak, das man fünfmal blättern kann und dabei drei Audio-CD‘s und zwei DVD‘s mit den vollständigen Rockpalast-Auftritten von BIG COUNTRY sowie ein 12seitiges Booklet voller Fotos sowie einem deutschen und englischen Text zu den Hintergründen findet.
Aber auch ein zweiter Aspekt sollte beim Hören und Betrachten dieser historischen Aufnahmen nicht vernachlässigt werden: das erste Konzert vom 15. März 1986 in der Essener Grugahalle fand noch in der Bundesrepublik Deutschland, kurz BRD, statt; das zweite Konzert aber fand in einem wiedervereinten Deutschland statt, noch immer kurz BRD. Und in der Zwischenzeit hatte sich auch viel aus Sicht von BIG COUNTRY ereignet, die noch ein Jahr vor Mauerfall vor über 100.000 Zuschauern in Ost-Berlin auftraten: „Deutschland war von Anfang an fantastisch für uns seit unserer ersten Tournee 1984. Wir haben immer zwei oder drei Wochen im Land verbracht, um möglichst viele Auftritte zu spielen, einschließlich Festivals wie das, wo wir mir Bryan Adams in Ost-Berlin spielten, während Michael Jackson in West-Berlin spielte“, stellt Bruce Watson fest und unterschlägt dabei, dass bei dem West-Berlin-Festival nicht nur Mr. Moonwalk, sondern auch PINK FLOYD auftraten, mit der Forderung, einige der Musik-Boxen in Richtung Ost-Berlin auszurichten, damit auch die Menschen hinter der Mauer etwas von ihrem Konzert mitbekamen!
Als BIG COUNTRY am 15. März 1986 in der Grugahalle von Essen auftraten, war das zugleich der Startschuss für die Tour, bei der sie fast komplett ihr gerade erschienenes „The Seer“-Album – auf dem sogar KATE BUSH mitgesungen hatte – vorstellten und mit sehr ausgefallenen Gitarren-Eskapaden aufwarteten, bei denen sich beide Gitarristen gegenseitig im „keltischen Zwillingsgitarren-Sound“ befeuerten, was besonders beeindruckend sowie sehr druckvoll bei der ersten Konzert-Zugabe zum Ausdruck kommt. Watson bemerkt dazu im Booklet: „Unsere Gitarrenriffs klingen viel komplizierter, als sie es in Wirklichkeit sind. Stuart und ich haben so viele Overdubs im Studio gemacht, dass wir uns vor einer Tournee hinsetzten, uns die Platte anhörten und einfach herausfanden, welche die wichtigsten Sounds und die wichtigsten Gitarrenparts waren und dann entschieden, wie wir beide sie auf der Bühne umsetzen wollten.“
Während der 86er-Rockpalast-Auftritt noch ganz ohne Keyboarder, dafür aber mit Schlagzeuger Mark Brzezickis stattfand, sah es in Bonn 1991 anders aus. Zum ersten Mal mit Keyboarder Colin Berwick von THE BIG DISH und Drummer Chris Bell von SPEAR OF DESTINY sowie dem neuen Album „No Place Like Home“ im Gepäck, hatte sich der Sound von BIG COUNTRY unüberhörbar gewandelt, wobei natürlich mit Sänger Stuart Adamson als feste Klang-Größe das Bandgefüge zusammenhielt. Auch die Aufnahmequalität des Konzerts ist um Längen besser als das von fünf Jahren und einem Mauerfall zuvor.
BIG COUNTRY beweisen mehr Pop-Appeal, sind nicht mehr ganz so rockig, von ihren politischen Aussagen in ihren Texten aber noch immer genauso knallhart und verzaubern das Publikum mit vielen, sofort ins Ohr gehenden Melodien, wobei natürlich auch die beiden Gitarristen wieder eine sehr bedeutende Rolle spielen. Das Irisch-Folkloristische tritt dabei allerdings stärker in den Hintergrund. Und dass ihr Super-Hit „Look Away“ auch hier bereits als dritter Song des Konzerts erklingt und alle Dämme zwischen Band und Publikum brechen lässt, ist im Grunde logisch.
Außerdem gibt‘s dann am Ende des Konzerts noch ein ganz spezielles Highlight, besonders für die Damen im Publikum. Denn nach und nach entkleidet sich die komplette Band … natürlich nur obenrum.
Im Endeffekt sind beide Rockpalast-Auftritte von BIG COUNTRY großartige Live-Erinnerungen an eine beeindruckende schottische Rockband, die sich auf dem Zenit ihres Könnens und Erfolgs befand, während schon kurze Zeit später die Alkoholprobleme ihres Frontmannes Adamson BIG COUNTRY immer mehr zu schaffen machten und 2001 zu ihrer Auflösung führten.
FAZIT: Mit „Live At Rockpalast 1986 & 1991“ gibt es eine herrlich fette Digipak-Box, bestehend aus drei Audio-CD‘s und zwei DVD‘s, die mit den beiden Rockpalast-Auftritten von BIG COUNTRY vom 15. März 1986 in der Essener Grugahalle und vom 6. September 1991 in der Bonner Biskuithalle aufwartet. Ein weiteres sehr lohnenswertes Live-Fundstück für alle BIG COUNTRY- und Rockpalast-Freunde!
Erschienen auf www.musikreviews.de am 28.10.2018
Tony Butler
Stuart Adamson, Tony Butler, Bruce Watson
Bruce Watson, Stuart Adamson
Colin Berwick
Mark Brzezicki, Chris Bell
MIG Music
DVD‘s: 199 Minuten / CD‘s: 175:54
26.10.2018