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Reviews

Cass: Slower Smaller Happier

Stil: Funk, Soul, Jazz

Cover: Cass: Slower Smaller Happier

„Hallo, liebe Freunde der gehobenen Mittelschicht und der Oberschicht und der Blödmannschicht! Ich bin CASS, der coole, haargestylte, Dreitage-Bart tragende Typ mit weißem Hemd, edlem Anzug, fetter Uhr und Whiskey-Glas in der Hand, der auf einem Canapé sitzt und eigentlich ein ‚von‘ vor meinem Namen tragen müsste, weil ich aussehe wie ein adliger Schlossbesitzer – zumindest wenn ich mich für das Cover meines Albums ablichten lasse, auf dem ihr alle meine Sangeskunst sowie meine noble Erscheinung bewundern dürft!“ - oder was hat sich bloß der Belgier CASS dabei gedacht, als er sein gar nicht mal so schlechtes Album <a href="https://www.youtube.com/watch?v=Ay6doJSCVEY&feature=youtu.be" rel="nofollow">„Slower Smaller Happier“</a> mit einem dermaßen abtörnenden, selbsteverliebten Cover versah?

Ein wenig Recherche ergibt dann schnell Antwort auf dieses Cover-Dilemma: CASS, eigentlich Dirk Cassiers, ist ein vielbeschäftigter Unternehmer, für den das Singen angeblich „sein Yin zum Yang oder doch Yang zum Yin“ ist. Außerdem ist er noch dazu ein großer Familienmensch. Das alles verspricht nicht wirklich Gutes, denn wenn er selbst bei der Gestaltung seines Albums den erfolgreichen Unternehmer raushängen lassen muss, dann hat das meistens großen Einfluss auf weniger erfolgreiche Musik. Beim Blick in das nicht wirklich ansprechende Digipak kam gar die Vermutung auf, noch ein Familienfoto im Stil von: „Mein Haus, meine Auto, meine Yacht, meine Frau, meine Kinder!“, zu entdecken, was glücklicherweise aber nicht der Fall war.

Nach so viel optischer Überheblichkeit steigt die Neugier auf die Musik hinter solch visueller Peinlichkeit nicht wirklich. Doch wenigstens in dieser Beziehung wartet eine wahrhaft positive Überraschung auf den „nicht-neugierig-gewordenen“ Kritiker und alle, die sich in ihrer musikalischen Neugier nicht von Covergestaltungen inspirieren oder leiten lassen, denn Unternehmer Dirk CASSiers ist als Musiker jemand, der als Sechzehnjähriger mit seinem Bruder Jo in einer SIMON & GARFUNKEL-Cover-Band sang, dann mit ihm die Band ORPHAN gründete, <a href="https://www.youtube.com/watch?v=8ZOASwbPXL4" rel="nofollow">2012 erfolgreich an „The Voice Of Vlaandern“ teilnahm</a> und jetzt ganz offensichtlich Soul- und Funk-Musik liebt.

„In A Different Way“ eröffnet das Album sofort als hitverdächtige Funknummer im JAMES BROWN-Stil mit fetten Bläsersätzen und wummernden Basslinien, die sofort in die Beine gehen, wobei auch die Stimme von CASS ideal zur Musik passt: warm, voluminös und voller Gefühl. Ein Gefühl, das er auf andere, viel ruhigere Weise dann bei der folgenden Soul-Ballade „Baby Let Me Hold You“ in Richtung Kuschel-Rock orientiert, auch wenn der Song nach und nach immer mehr – durch verschieden Bläser vorangetrieben – in Fahrt kommt und leider am Ende lieblos ausgeblendet wird. Dieses Scheiß-Radioformat-Zurechtgestutze wohnt leider fast jedem der zwölf, mal ruhigen, dann wieder sehr rhythmischen und immer emotionsgeladenen, Songs, mit einem permanenten Hitlächeln auf den Soul-Lippen, inne.

Die Vorbilder von CASS sind unüberhörbar, darunter sind ansatzweise ein ELVIS genauso wie ein ROBBIE WILLIAMS oder AL JARREAU, RAY CHARLES sowie STEVIE WONDER und ganz besonders EARTH WIND & FIRE und STEELY DAN. Es soult, funkt, jazzt, bläst gehörig, rockt sogar mal richtig mit E-Gitarre bei „Gotta New Way“ von vorne bis hinten auf „Slower Smaller Happier“ – und die Stimme von CASS, die tatsächlich ein paar Ähnlichkeiten zu den zwei ALs (JARREAU und GREEN) aufweist, hat echtes Charisma und fühlt sich auf allen, sehr breit gefächerten musikalischen Stilen des Albums nicht nur zu Hause, sondern sehr wohl und wirkt überhaupt nicht aufgesetzt.

CASS kann nicht nur sehr gut singen, auch seine Kompositionen überzeugen, selbst wenn sie größtenteils ganz tief in den Soul- und Funk-Traditionen und noch viel tiefer bei STEELY DAN wühlen.
Schade nur, dass diese anspruchsvolle Musik sich hinter einem dermaßen anspruchslosen Cover befindet.

„Thank you so much – Peace ‘n Music!“
Mit diesen Worten verabschiedet sich CASS im Inneren des Digipaks, in dem sich leider kein Booklet und keine Texte befinden, und die können nach dem ambitionierten, leidenschaftlichen Funk und Soul von „Slower Smaller Happier“ genau so stehenbleiben.

FAZIT: Augen zu und durch (bei dem Cover), dafür aber Ohren auf (bei der Musik) und ordentlich die Extremitäten durchgeschüttelt (bei diesen heißen, von Bläsern veredelten Rhythmen). Der erfolgreiche Unternehmer und zugleich (bisher noch … Doch warten wir‘s ab!) weniger erfolgreiche, aber deswegen nicht schlechte Musiker Dirk CASSiers präsentiert auf „Slower Smaller Happier“ eine angenehme, ausgezeichnet auch als Tanzmusik geeignete Mixtur aus Funk und Soul, die sich allen Standards stellt, sie locker hält und mit modernen, sehr an STEELY DAN erinnernden, musikalischen Ideen aufmischt.

Punkte: 11/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 31.03.2018

Tracklist

  1. In A Different Way
  2. Baby Let Me Hold You
  3. In The Middle Of The Night
  4. Ding Dang
  5. Slower, Smaller, Happier
  6. Gotta New Way
  7. I Can‘t Lose You Again
  8. Shackles & Chains
  9. Would You Believe
  10. Softly
  11. Strong
  12. Triangle

Besetzung

  • Bass

    Roberto Mercurio

  • Gesang

    Cass, Akro, Chantal Kashala, Steve Kashala, Monique Harcum

  • Gitarre

    Leendert Haaksma

  • Keys

    Yannic Fonderie

  • Schlagzeug

    Bram Raeymaekers

Sonstiges

  • Label

    Eigenvertrieb

  • Spieldauer

    42:55

  • Erscheinungsdatum

    23.02.2018

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