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Citizen Tim: Hospital Breakfast Conversations

Stil: Singer/Songwriter, Indie Pop, Folk

Cover: Citizen Tim: Hospital Breakfast Conversations

„Bereits als Kind war ich fasziniert davon, mit meinem Kassetten-Recorder aus Plastik irgendwelche Lieder und Geräusche aufzunehmen. Demnach liegt es nahe, dass es für mich immer ein Wunsch war, meine eigenen Lieder in einer gescheiten Qualität aufzunehmen. ‚Hospital Breakfast Conversations‘ wird mein erstes Album und ich kann es kaum erwarten, dass die Platte erscheint. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich jemals so viel Energie und Zeit in eine Sache gesteckt habe.“

Und die Energie, Kraft – aber ganz besonders das Talent des ehemaligen Gitarristen und Sängers der Screamo-Band ROAD TO KANSAS, der wohl besonders intensiv einen Kult-Film von Orson Welles aus dem Jahr 1941 liebt (Auch wenn angeblich der Bruder Tim als zusätzlicher Namensgeber für „Bürger Tim“ Pate gestanden haben soll!) – haben sich wahrhaft gelohnt, denn CITIZEN TIMs Debüt „Hospital Breakfast Conversations“ überzeugt nicht nur musikalisch, sondern auch textlich, klangtechnisch und gestalterisch mit seinem farbigen Vinyl auf ganzer Linie. Selbst wenn noch ein wenig der Mut fehlt, auch mal aus der größtenteils melancholischen Grundstimmung auszubrechen, gewisse Experimente anzugehen, die sich stärker dem traurigen Wohlklang entziehen, um experimentierfreudiger Kontrapunkte zu präsentieren, sind diese musikalischen Krankenhaus-Frühstücksgespräche sehr bewegend ausgefallen.

Die Idee, sein Album „Hospital Breakfast Conversations“ zu nennen, kam dem Saarbrücker als er eines Morgens auf seine Freundin, mit der er jetzt verlobt ist, vor dem Krankenhaus wartete, in dem gerade ihre Schicht enden sollte: „Am Tisch gegenüber saßen etwa sechs Ärzte, die gerade Frühstückspause machten und sich über Rezepte, Sport und Konzerte unterhielten. Ganz normale Pausengespräche eben. Einen Tisch weiter wiederum saß ein junges Pärchen, vielleicht Mitte 30. In ihren Gesichtern konnte man sehen, dass ihnen gerade etwas Schlimmes passiert ist und niemand in der Lage ist zu helfen. Dieser Anblick hat mich sehr lange verfolgt und so hab‘ ich die Situation für mich weiter gesponnen...“

Aus dieser Idee heraus, die nun als „Hospital Breakfast Conversations“ musikalisch und textlich vollendet vorliegt, entstand ein Singer-Songwriter-Folk-Pop-Konzeptalbum, das sich mit der schweren Thematik des Trauerns sowie des Sterbens und dem Prozess, dem man dabei unfreiwillig unterworfen ist, auseinandersetzt und dementsprechend als „Hospital“-Prolog auch melodramatisch mit Streichersätzen und Hörnern beginnt, mit sehr zerbrechlich wirkendem Gesang auf <a href="https://www.youtube.com/watch?v=_0hFGH8wutc" rel="nofollow">„The Vein Of This Town“</a> fortsetzt und der hymnischen Ballade <a href="https://www.youtube.com/watch?v=RK7ImZO1VL0" rel="nofollow">„Swan Song“</a> endet. Immer bleibt auf „Hospital Breakfast Conversations“ dieser klitzekleine Strohhalm Hoffnung bewahrt und niemals versinken Musik und Text in einem tiefen Loch aus Selbstmitleid: „There‘s a army of the broken ones / They will carry you for a while / Until the sun will warm your face again.“ („Swan Song“)

Eine ganz ähnliche Atmosphäre verbreitete auch das faszinierende und ebenfalls sehr bedrückende 1998er-EELS-Album „Electro-Shock Blues“, in dem Mark Oliver Everett den Suizid seiner Schwester zu verarbeiten versucht. Es sind genau die Momente, die keine Veränderung mehr zulassen und in ihrer Endgültigkeit so schmerzvoll sind, die jeden für sich zwingen, auf seine ganz eigene Art damit umzugehen. Marco Kallenborn alias CITIZEN TIM gelingt genau diese schwere Aufgabe in seiner Musik so klingen zu lassen, dass selbst auf den Hörer, dessen Englisch nicht das beste ist (Allerdings lebt das Album natürlich sehr intensiv auch von den anspruchsvollen Texten!), sich dieses Gefühl sofort überträgt.

Alle Anderen aber sollten natürlich beim ersten Hördurchgang unbedingt die Texte, die auf dem LP-großen Beiblatt beigefügt sind, auf dessen Rückseite noch einmal das Cover-Motiv mit den sich rot färbenden Quellwolken zu sehen ist, mitlesen.

Produziert, gemixt und gemastert hat CITIZEN TIM alles in den eigenen vier Wänden, wohl auch um die Stimmung, die er auf seinem Album verbreitet, nicht durch einen Dritten anders interpretieren zu lassen.

„Hospital Breakfast Conversations“ wird so nicht nur das gelungene Debüt eines Musikers, sondern ein rundum persönliches und zugleich ohne Einflussnahme durch andere Produzenten und Tontechniker beim Entstehungsprozess vollendetes Album. Schon unter diesem Blickwinkel hat CITIZEN TIM viel geleistet, denn er muss ein Pedant mit Hang zum Perfektionismus sein bei dieser klangvollen Leistung als Ergebnis.

FAZIT: Genau solche Debüt-Alben von deutschen Musikern, die eigentlich aus einer ganz anderen Ecke – nämlich der des Hardcore und Screamo – kommen, sind die größten Überraschungen im oft so festgefahrenen Schubladen-Musikbusiness. CITIZEN TIM erzählt, singend und größtenteils eine akustische Gitarre spielend, kleine, melodramatische und trotzdem hoffnungsvoll stimmende Geschichten über das Trauern und Sterben zwischen Folk, Pop und großartiger Singer/Songwriter-Kunst. Und das macht er auf diesem hellgrün marmorierten Vinyl mit so viel Gefühl, dass einem beim Hören ein Schauer nach dem anderen überkommt.

Punkte: 12/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 14.05.2018

Tracklist

  1. <b>Seite A:</b>
  2. Hospital
  3. The Vein Of This Town
  4. Barfight
  5. Crazy Old Man
  6. The Sweetest Melody On Earth
  7. <b>Seite B:</b>
  8. Heroes
  9. Wedding In Boston
  10. Writing On Thin Paper
  11. Breakfast Conversations
  12. Swan Song

Besetzung

  • Bass

    Christian Hunsicker

  • Gesang

    Marco Kallenborn, Tatiana Herzog

  • Gitarre

    Marco Kallenborn

  • Keys

    Marco Kallenborn

  • Schlagzeug

    Stefan Schaus

  • Sonstiges

    Tobias Rau (Trompeten)

Sonstiges

  • Label

    Midsummer Records/Cargo

  • Spieldauer

    40:00

  • Erscheinungsdatum

    18.05.2018

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