Mit Henri Texiers Namen lässt sich zwar gut werben, aber die Kontrabass-Ikone ist nicht allein der Star dieses Quartetts, das auch nicht umsonst auf eine konkrete Benennung oder einen der Namen seiner Mitglieder als Aufhänger verzichtet haben mag. Das Team ist der Chef, und wenn ein solches ausschließlich aus Chefs besteht, kann das entweder furchtbar schiefgehen oder geniale Ergebnisse hervorrufen.
"Three Roads Home" tendiert zum Glück eher zur Genialität hin. Tenorsaxophon Daniel Erdmann (Velvet Revolution, Das Kapital mit Hasse Poulsen und Edward Perraud) und Schlagzeuger Christophe Marguet (u.a. NDR Big Band), den man vielleicht durch sein Trio mit Sebastian Texier und Olivier Sens kennt, leiten mit diesem Album die nächste Phase ihrer bereits mehrjährigen Zusammenarbeit ein, die bereits zwei Studioalben zu Tage gefördert hat.
Der Clou bei "Three Roads Home" besteht in der minimalistischen Besetzung und dem strikt improvisatorischen Ansatz der Musiker. Erdmann scheint die Melodien vorzugeben, woraufhin die Rhythmusgruppe wie blind aufeinander eingespielt loslegt, wodurch der Eindruck entsteht, die Stücke seien mehr oder weniger von Anfang bis Ende komponiert worden. Ihr freier Charakter ist aber durchweg erkennbar, was auch der ausgesprochen luftigen Produktion zu verdanken ist, deretwegen man die Protagonisten sozusagen "atmen" hören kann.
Und dann die Idee, mit zwei Bassisten aufzutrumpfen … Texier und Claude Tchamitchian wechseln sich entweder ab oder spielen unisono - einer mit Bogen und einer zupfend wie etwa im mysteriös schleichenden 'Les Agnettes'. Wohingegen das tief pulsierende 'Manif Contre Personne' und das ebenfalls treibende 'Middle Life regelrecht auf die Folter spannen
ruht "Three Roads Home" in Momenten, wo sich Erdmann mit expressivem Spiel von seinen Mitstreitern abkoppelt ('Valse Pour Eux'), ohne die metrische Struktur gänzlich aufzulösen, oder der schlicht wunderschönen Ballade 'L’Ombre De L‘Eau'.
Das Quartett lässt sich fraglos stets Zeit, verzichtet aber auf übertrieben ausufernde Tracks. Mit etwas über siebeneinhalb Minuten markiert 'A Pleasant Serenity' am Ende das Maximum - und das wohl auch nur, weil die sanfte Melodie so schön und das Basssolo so gelungen ist, dass man es in der Nachbearbeitung - sollte eine vorgenommen worden sein - nicht kürzen wollte.
FAZIT: Ein Jazzquartett der anderen Art - Erdmann, Maguet, Texier und Tchamitchian spielen strenggenommen wie ein kompaktes Trio auf und beweisen, dass Free Jazz, wenn disziplinierte Könner mit klaren Vorstellungen ihn in Angriff nehmen, kein ungenießbares Saxofon-Geschrei ohne Rhythmus zu sein braucht. "Three Roads Home" ist eine Sammlung fast traditioneller "Songs", derer man so schnell nicht überdrüssig wird. <img src="http://vg06.met.vgwort.de/na/963926a18ca44d3098a6cbde665689e7" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 30.08.2018
Das Kapital
60:25
31.08.2018