Jazz ohne klassisches Akkordinstrument ist eine heikle Sache. Wer sich daran versucht, driftet nicht selten in dröge Ambient- oder Drone-Gefilde ab, die beschönigend "Dark Jazz" genannt werden und nur im Fall weniger Combos (man denke an Dale Cooper Quartet oder mit Abstrichen auch Bohren & der Club of Gore) langanhaltenden Reiz versprühen. Der Namengeber dieses Trios hier würde jedoch nicht als europäische Szenegröße gelten, falls ihm solche Fauxpas unterliefen.
Seine Leidenschaft für die Trompete erbte Flavio Boltro von seinem Vater. Der mittlerweile auf die 60 zugehende Italiener lernte sein Handwerk am Turiner Musikkonservatorium, ehe er sich verschiedenen Combos anschloss und u.a. mit Jazz-Weltstars wie Don Cherry, Freddy Hubbard oder Bob Berg in Berührung kam. Seine Solokarriere begann verhältnismäßig spät - erst kurz vor der Jahrtausendwende, und seitdem sind drei Alben unter seinem Namen erschienen.
Das Banner "BBB" deutet nun auf drei gleichberechtigte Partner hin, neben Boltro Drummer Mattia Barbieri als langjähriger Weggefährte des Trompeters und mit Mauro Battisti ein kongenialer Bassist, dem es mit seinen Grooves und Melodien neben dem Leader tatsächlich gelingt, ein Klavier unerheblich zu machen.
Nichtsdestoweniger ist Boltro selbst der Star, falls man nicht Zucker schlecken und sich auf die brillante Interaktion der Rhythmusgruppe konzentrieren möchte. Die Trompete wurde teilweise mit Effekten verfremdet, doch Boltro streut auch halsbrecherische Lines ('Coccinelle') ein wie die legendären Holzbläser der 1950er und 60er.
In 'Catalina' klingen tragische Volkslieder von Stiefel an, bei 'Father Son' näselt Boltro herrlich klagend durch den Dämpfer, und bei dem trippigen 'Black Jack' scheint es sich um eine Dekonstruktion von protzig virtuosem Jazzrock (bloß ohne das tragende Rockinstrument Gitarre) zu handeln.
Na, und wer erkennt die Zitate von Radiohead bzw. Peter Gabriel inmitten dieser Lehrstunde?
FAZIT: Nennen wir es Jazz Noir … Das Flavio Boltro Trio BBB spannt ein intimes Dreieck aus Schlagzeug, Bass und Trompete auf, in dem Melodie und Groove genauso viel bedeuten wie Abstraktion und die Kunst, auch einfach mal nicht zu spielen. Die Stimmung bleibt dabei zurückhaltend, aber nicht einseitig, vor allem aber immer so leicht greifbar, dass man "Spinning" fast Pop-Qualitäten bescheinigen kann.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 24.11.2018
Anteprima Productions / Broken Silence
45:52
23.11.2018