Daheim in Norwegen mischt Tenorsaxofonistin Hanna Paulsberg die Jazzszene nicht erst seit gestern auf, wohingegen sie auf internationaler Ebene allenthalben als Sidekick teilweise legendärer Kollegen in Erscheinung tritt, allen voran vermutlich Klavier-Maestro Chick Corea. Schnittstellen mit der (Prog-)Rock-Szene unterhält sie indes an der Seite ihrer Landsleute Motorpsycho und als Mitglied von Torstein Ekspress, falls sie nicht ihre eigene Combo leitet, deren aktuelles Album uns hiermit vorliegt.
"Daughter of the Sun" ist der vierte Longplayer der Formation seit 2012 und markiert Paulsbergs erste Zusammenarbeit mit dem schwedischen Trompeter Magnus Broo, den Leser dieser Zeilen eventuell von der Band Atomic kennen. Da die preisgekrönte Künstlerin und offizielle Jazzbotschafterin der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens eine vergleichsweise junge Gruppe anführt, mag man der Musik gewisse Altersreibungspunkte andichten, doch der renommierte Nachbar agiert von jeher genauso scheuklappenfrei wie die Bandleaderin.
Die sechs enthaltenen Songs sind also Grenzgänge, in deren Verlauf praktisch alle Jazz-Klischees umgangen werden. Concept etablieren nicht erst Riffs und lassen ihre "Stars" dann darüber solieren, sondern entwerfen jeweils von Beginn an originäre Stücke, deren Bezüge zur Genre-Tradition sich erst auf den zweiten Blick offenbaren. Dass das eröffnende 'Scent of Soil' und das Titelstück im Zeichen der Frau als Schöpferin stehen sollen, drückt sich nicht etwa in musikalischen Verweisen aufs Schaffen von Alice Coltrane aus (was durchaus naheläge); stattdessen handelt es sich um getragene Kompositionen mit sehr freier Rhythmik, dem Bass im Zentrum und schließlich doch recht griffigen Melodiemotiven, die in ihrer Kürze entdeckt werden möchten.
Paulsberg versteht das Album als einen Tribut an Pharoah Sanders' „Upper Egypt & Lower Egypt“, und 'Little Big Saxophone' ist das Stück, mit dem sie am deutlichsten auf die Ikone verweist - eben mit teils dissonantem Free Jazz, der ebenso fiebrig anmutet wie das von Unisono-Parts geprägte 'Serianna', mit dem das Ensemble den jubilierenden Charakter revolutionär aufgelegter Afrojazz-Kollektive der späten 1960er und frühen 70er heraufbeschwört. Den Bogen zurück in die skandinavische Heimat schlagen wiederum das frotzelnde 'Hemulen Tar Ferie' in Anklang an die schwedische Zeichentrickserie „Mumin“, wohingegen sich das stolpernde 'Bouncing With Flower Buds' augenzwinkernd auf Bud Powells Standard 'Bouncing With Bud' bezieht.
Der Gesamteindruck ist nach so vielen Referenzen erstaunlich homogen. "Daughter of the Sun" gehört zudem nicht zu den grellen Jazz-Alben, deren Schöpfer maximal viele Klangereignisse aneinanderreihen, um Effekthascherei zu betreiben; die Tracks schöpfen aus der Tiefe und begeistern dennoch durch ihre inspirierte Umsetzung:
FAZIT: Hanna Paulsberg Concept und Magnus Broo beweisen mit "Daughter of the Sun" einmal mehr die Internationalität von Jazz als einst "nur" afro-amerikanischer Musik, ohne es stilistisch allzu bunt zu treiben. Mit traditionellen Mitteln entstand so ein Album, das frischen Wind durch die Szene wehen lässt; Heiterkeit und Tiefsinn schließen einander eben auch in anspruchsvoller Musik nicht aus.
Punkte: 12/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 18.10.2018
43:29
Odin / Broken Silence
19.10.2018