Tuwa und die Mongolei werden in unseren Breitengraden zuerst mit Nomadentum, kuriosem Obertongesang und vielleicht auch Pferdekopfgeigen assoziiert, was wohl daran liegt, dass das folkloristische Ensemble Huun-Huur-Tu eine Zeitlang in Westen von sich reden machte und als Botschafter der Kultur der Region gehandelt wurde. Rock-Fans hingegen kennen und schätzen die Band Yat-Kha um Albert Kuzevin, der im Zuge seines Erfolgs mit mehreren westlichen Künstlern zusammengearbeitet hat. Damit wären wir bereits bei HARTYGA angekommen; sie sind ebenfalls Kollaborateure des Stars und repräsentieren sozuagen die neue Generation tuwinischer Populärmusik.
Und das ebenfalls mit Erfolg, der sich bisher gleichwohl auf die weitere Region ihrer Heimat und deren Nachbarschaft beschränkte. Mit dem Label-Wechsel in die Slowakei könnte die Band nun endlich auch im Westen Europas wahrgenommen werden, zumal ihr Sound beileibe nicht mehr so exotisch anmutet, wie es vielleicht vor 20 Jahren noch der Fall gewesen wäre. Die preisgekrönten Ethno-Rocker sind seit anderthalb Jahrzehnten aktiv und frönen einer recht leicht fassbaren Mischung aus psychedelischer Heavy Rock, Jazz, Funk sowie natürlich Folk.
Die Mitglieder, teilweise Absolventen derselben Kunsthochschule in Kysyl, haben eine Zeitlang die Studi-Szene aufgemischt und dabei Festivals mitgemacht, die für den Musikbetrieb ihres Landes bahnbrechend waren, u.a. das Ustuu Huree mit dem legendären Sun Ra Arkestra als Hauptattraktion. Gitarrist und Sänger Salchak Orlan, der die Urformation kurz nach der Jahrtausendwende gründete, ist mittlerweile ausgeschieden; Frontmann Nachyn Choreve stellt mit seiner rauen Stimme die Hauptattraktion der Gruppe dar, deren Name übrigens "Falke" bedeutet. Bei "Amyrsanaa" - der Titel spielt auf einen tuwinischen Nationalhelden an - handelt es sich um ihre dritte Veröffentlichung nach je einer EP und einem Album ("Agitator", 2016)
Das eröffnende 'My Kargyraa' subsumiert gemeinsam mit dem abschließenden 'My Mezhegy' quasi HARTYGAs Stil und beruht als Hommage an den Obertongesang an sich auf traditionellem Liedgut. Die Einflüsse früher bis mittlerer Pink Floyd sind überdeutlich, und in 'Red Star', das ebenfalls auf einen Folk-Standard zurückgreift, meint man dann obendrein, Led Zeppelins epische Neigungen zu vernehmen. Dass sich die Band mit solchem Stoff bereits in die russischen Charts geschlichen hat, ist insofern beachtenswert, als dieser hierzulande trotz des Classic-Rock-Booms von einer relativ beschränkten Klientel wahrgenommen wird.
Im Folgenden interpretieren HARTYGA mehr überlieferte Kompositionen auf ihre eigene moderne und doch urige Weise, wofür 'Collective Farmer' besonders beispielhaft steht, wohingegen man sich 'Silk' sogar im nordeuropäischen (britischen) Musikkulturkreis vorstellen könnte. Mit 'Oskustun Yry' kulminiert alles bis dahin gebotene in einem Longtrack, auf den jede Prog-Band stolz wäre. Seine hypnotischen Qualitäten gerade gegen Ende weist auch das Titelstück auf, das den Reigen nach jenem Höhepunkt gediegen ausklingen lässt.
FAZIT: Man muss keineswegs Weltmusik-Fan sein, um HARTYGA eine Menge abzugewinnen. Die Band besitzt Crossover-Potenzial und legt mit ihrem zweiten Album Musik vor, die eingedenk ihres vorderasiatischen Flairs auf breiter Ebene im internationalen Alternative-Bereich punkten könnte. Unabhängig davon enthält "Amyrsanaa" schlicht fantasievolle Rockmusik mit viel Gefühl sowie jener Mischung aus leiser Melancholie und Lebensfreude, die Tuwa generell zu eigen zu sein scheint. <img src="http://vg05.met.vgwort.de/na/8a551a95d3384de5866f1b65665162a2" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 04.09.2018
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31.08.2018