Zur Feier des vor 25 Jahren herausgekommenen Albums, mit dem Peter Nicholls an die Spitze von IQ zurückkehrte und deren zweiten Frühling überhaupt erst ermöglichte, veröffentlicht die Band den Langspieler um eine erschlagende Masse an Dreingaben angereichert erneut. Das Kernstück der angeblich "definitiven" Fassung von "Ever" ist neben einem 40-seitigen Booklet (reich bebildert und mit ausführlichen Liner-Notes versehen) eine neue Abmischung durch Gitarrist Mike Holmes, die tatsächlich - der Idealfall - bislang ungehörte Facetten der Originalspuren freilegt. Praktischerweise führten die Briten das Album im Frühjahr 2018 vom ersten bis letzten Song in Aschaffenburg auf, um einen zusätzlichen Vergleichspunkt zu bieten.
Beim dritten Datenträger handelt es sich um eine DVD mit dem titelgebenden 2018er Remix sowohl des Albums als auch der Live-Nachlese aus dem Colos-Saal, beide im 5.1-Surround-Sound. Hinzu kommen Demos der Albumtracks, diverse Fragmente und Dokumentationen von geprobtem Material von "Ever", die in erster Linie beinharte Komplettisten ansprechen dürften, obzwar es interessant ist, die Entwicklung der einen oder anderen Idee anhand dieser Schnipsel zu rekapitulieren. Einen tieferen Einblick in die Kreativarbeit einer Band erhält man selten.
Der knapp 50-minütige Kern des Ganzen ist auch in der Rückschau unzweifelhaft als Kind seiner Zeit (der beginnenden 1990er also) identifizierbar - Neo Prog englischer Provenienz, leicht unterkühlt und dennoch für sich einnehmend, zumal IQ schon immer ein Händchen für Pop-Hooks hatten, die man zwar in den ausufernden Tracks 'The Darkest Hour' und 'Further Away' schnell übersehen hat, aber weder in 'Out Of Nowhere' noch 'Came Down' verhehlen kann.
Der eigentliche "Star" des unleugbaren Klassikeralbums ist jedoch bis heute die fulminante Halbballade 'Fading Senses', ein Zweiteiler und Paradebeispiel für episches Songwriting ohne Ideenverschwendung. In gleicher Weise, wie die Rhythmusgruppe punktgenau aufpielt - Paul Cook und John Jowitt gelten nicht umsonst als eines der Bass-Drum-Tandems schlechthin in der Szene -, erscheinen die Keyboard- und Gitarrenmelodien in Stein gemeißelt, als dürfe man sie nur so und nicht anders hören.
Was den Umgang mit ungeraden Taktarten und gehobenen Fingerfertigkeiten im Dienst des Lieds als solchem betrifft, standen und stehen IQ weit vorn; immer dann, wenn man diese Wendung oder jene Akkordfolge als zu simpel empfindet, baut die Gruppe einen Schlenker ein, der dem Weiterdenker-Anspruch, mit dem sich das Prog-Milieu gern brüstet, auch wirklich gerecht wird.
Mag sein, dass diese Lesart des Genres derzeit ein wenig angestaubt wirkt (die Synthesizer-Tuschs sind teilweise ganz schön fies kitschig), doch erstens kommt alles wieder, und zweitens hat ein guter Song, die "Ever" praktisch ausnahmslos enthält, eine uneingeschränkte Berechtigung.
FAZIT: Ein zeitloses Album von 1992 im ursprünglichen und aktualisierten Mix, dazu eine Performance des Stoffs aus jüngerer Zeit als Beleg für den Reifeprozess, den die Songs hinter sich haben, sowie eine Menge weiterer Informationen in Bild und Wort neben vermutlich dem allerletzten Rest von Überbleibseln aus den Studio-Sessions - schon kommt man auf insgesamt fast vier Stunden Musik von und zu IQs "Ever". Wer diesen Neo-Prog-Standard noch nicht kennt oder sich zusätzlich zur Erstauflage eine edle Wiederveröffentlichung zulegen möchte, braucht "25th Anniversary Collector's Edition" unbedingt. <img src="http://vg05.met.vgwort.de/na/0a8436e48e7549b28a8ea1e861b339ba" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 01.10.2018
Giant Electric Pea
113:50 (2CD)
05.10.2018