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Ihsahn: Àmr (Deluxe Edition)

Stil: geschwärzter Prog Metal

Cover: Ihsahn: Àmr (Deluxe Edition)

Immer mit Rückbezug auf wegweisenden Black Metal aus EMPEROR-Tagen hat sich IHSAHN im Laufe der Jahre auf seinen Solo-Werken in verschiedene Richtungen emanzipiert. Herausgekommen sind bisweilen avantgardistische Hybride mit Gebläse (höre SHININGs Jørgen Munkeby auf „After“/“Eremita“/“Arktis.“) und immer wiederkehrenden Streicher-Arrangements, deren gemeinsamer Nenner stets eine gewisse Grundsperrigkeit im Songwriting war.
Zugänglich sind IHSAHN-Alben also noch nie gewesen. Das sei auch nicht der Anspruch, könnte der Künstler jetzt bequemerweise sagen, um sich im nächsten Satz nicht ganz unberechtigt verkopfte Unnahbarkeit vorwerfen zu lassen. Nun also der Versuch, mit „Àmr“ einen Kompromiss einzugehen: neue Türen öffnen, ohne die Integrität des eigenen Anspruchs aufzugeben – Bauch UND Kopf, gewissermaßen.

Neben der offensichtlich veränderten Artwork-Ästhetik nimmt der Meister dafür insbesondere beim Sound wie beim Songwriting kleinere Kurskorrekturen vor: die Streicher werden zu (Un-)Gunsten moderner Synthies wegrationalisiert, außerdem finden sich auf „Àmr“ auffallend viele Songs, die im IHSAHN-Kontext geradezu Powerballaden sind. Auf die Gästeliste trägt sich zudem OPETHs Fredrik Åkesson ein, der erst einmal etwas mehr Gefälligkeit suggeriert als das mitunter verstörende Blackjazz-Saxophon. Allen Neuerungen im Detail zum Trotz lässt IHSAHN es sich nicht nehmen, dem Hörer mit dem Opener „Lend Me The Eyes Of Millenia“ gepflegt einen vor den Latz zu hauen. Die omnipräsente Elektronik drängt sich förmlich auf und verschmilzt mit qualvollen Screams zu einem zwingenden Inferno, aus dem es kein Entkommen zu geben scheint. Easy listening ist weiterhin woanders, hier wird Beklemmung zum dominierenden Gefühl erhoben.

Auf dem anschließenden „Arcana Imperii“, vorher als Single-Video ausgekoppelt, bleiben nicht nur die Synthies aus, es gibt im cineastischen Chorus tatsächlich auch eine Portion mehrstimmigen Klargesang zu hören. Diese Kehrtwende ist die erste von vielen, was vielleicht der einzige legitime Vorwurf gegenüber „Àmr“ ist: Kohärenz gibt es so gut wie keine, das Album wirkt viel mehr wie eine beliebig sortierte Auslotung dessen, was im Grenzbereich von Prog/Math Rock, Black Metal und unkonventionellem Songwriting möglich ist. Das wiederum ist eine ganze Menge, wie sowohl die soften („Sámr“ ist fast klebrig schön, „Twin Black Angels“ kriegt spät die Kurve) als auch die harten Stücke in der Folge zeigen. Dass bei „One Less Enemy“ ebenso gut LEPROUS auf der Verpackung stehen könnte, ist angesichts des Drummings von Tobias Ørnes Andersen weder verwunderlich noch der allgemeinen Rezeption irgendwie abträglich. „When You Are Lost And I Belong“ ist trotz der überzeugend-düsteren Atmosphäre eher ein Rotstift-Kandidat, bevor das abschließende „Wake“ noch mal klassischer zu Werke geht und das Tempo gehörig anzieht. Mit „Alone“ bekommen Besitzer der Deluxe-Edition einen Bonus-Longtrack präsentiert, der in erster Linie das gleichnamige Gedicht von Edgar Allan Poe untermalt. Doomige Gitarren und SloMo-Drums schwingen den Elfminüter zunächst zu einem bedrohlichen Akt der Verzweiflung auf, der – von spielerischen Interludes unterbrochen – die ganze dynamische Bandbreite auf „Àmr“ zeigt und ein gelungenes Finale ist.

FAZIT: Auf der inzwischen siebten Veröffentlichung unter eigenem (Künstler-)Namen zeigt sich IHSAHN variabel wie selten zuvor und liefert einen beeindruckenden Querschnitt durch das eigene Schaffen ab. Schwarzmetallischen Traditionalisten werden des Kaisers neue Klangkleider zu modern gestrickt sein – das schon lange genreignorante Wachstum des Tveitanschen Universums verdient dessen ungeachtet Anerkennung und Gehör.

Punkte: 11/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 29.05.2018

Tracklist

  1. Lend Me The Eyes Of Millenia
  2. Arcana Imperii
  3. Sámr
  4. One Less Enemy
  5. Where You Are Lost And I Belong
  6. In Rites Of Passage
  7. Marble Soul
  8. Twin Black Angels
  9. Wake
  10. Alone (Bonus Track)

Besetzung

Sonstiges

  • Label

    Spinefarm

  • Spieldauer

    55:09

  • Erscheinungsdatum

    04.05.2018

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