Jazz ist ein Musik-Genre, daran besteht kein Zweifel, doch wenn sich Musiker hinter dem Begriff verstecken und nicht verstehen, was damit gemeint ist, kommt im schlimmsten Fall abgeschmackte Lounge-Musik dabei herum - viel Gedudel bei souveränem Handwerk, aber nicht viel dahinter, geschweige denn darin. Stagnation statt Innovation, Nieder- statt Tiefgang.
Jan Schreiners Jazz entspricht hingegen der Haltung, die dem Begriff zugrundeliegt - Stichworte Freigeist, Experimentierfreude, Wandlungsbereitschaft -, und dementsprechend hat er seine vielköpfige Combo eben nicht Big Band genannt. Ihre Musik klingt nicht unbedingt typisch für solche Formationen, geschweige denn, dass eigentlich simple Songideen ungebührlicherweise mittels Bläser- oder gar Streicher-Arrangements aufgebauscht würden.
Vielmehr gestaltet sich das Treiben wie ein Staffellauf von Solisten, ohne zu reiner Effekthascherei zu verkommen. Im Gegenteil üben sich die Beteiligten in Zurückhaltung und dienen einem übergeordneten Zweck - dem Spannungsbogen, auf dem sich der Hörer über die gesamte umfangreiche Spielzeit hinweg mitreißen lassen darf. Auf "You Better Look Twice" (übrigens ohne Saiteninstrumente eingespielt - abgesehen von David Helms bestechendem Kontrabass) hat alles seinen Platz, und Opulenz ist eine natürliche Eigenheit des Projekts, also nichts Erzwungenes. Was dies angeht, merkt man dem Material seine lange Reifezeit an, gleichwohl es sich um eine Live-Aufnahme handelt.
Der erwähnte "Staffellauf" ist nicht zuletzt auch insofern gerechtfertigt, als sich deutliche Unterschiede im verwendeten Tonmaterial und der Phrasierung der einzelnen Mitmusiker des Bandleaders ausmachen lassen, der sich hiermit als zukünftigen Würdenträger im Geist des legendären Albert Mangelsdorff empfiehlt.
FAZIT: Ein Dutzend MusikerInnen, intensiv expressives Spiel, mit extremer Sorgfalt komponierte Stücke und an einer ununterbrochenen Dynamikkurve orientiert, die an die Lautsprecherboxen bzw. den Kopfhörer fesselt - das alles zeichnet dieses sagenhafte Doppelalbum aus. "You Better Look Twice" ist ein Konzertmitschnitt der Extraklasse und etabliert den namensgebenden Bassposaunisten spätestens jetzt als einen "big player" nicht nur im nationalen Jazz-Betrieb. <img src="http://vg05.met.vgwort.de/na/640a07ae50354c6ab90b1074d4249cb7" width="1" height="1" alt="">
Punkte: 13/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 07.09.2018
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07.09.2018