Wann bilden Schimpfwörter, Ausdrücke der Überraschung, Reden voller Pathos und religiöse Sprachfiguren eine gemeinsame Kategorie? Richtig: In den letzten Sekunden im Leben eines Menschen. Wenn sich das Ende nähert, klammert sich der Sterbende an das, was er erlebt hat und was ihn folglich ausmacht, um es im Angesicht des bevorstehenden Todes zu einem Fazit zu verdichten. Im Sterbebett, vor einer Exekution oder im Abschiedsbrief vor dem Selbstmord fällt einem womöglich noch die ein oder andere poetische Phrase ein, beim Abrutschen von einem Berghang dürften die Alltime Classics wohl aus profanen Instant-Bemerkungen wie „Fuck“, „Shit“ oder „Oops“ bestehen. Die letzten Worte, am Ende sind sie gerade so unterschiedlich wie die Charaktereigenschaften der Personen, die sie äußern; nicht zu vergessen aber auch nur so würdevoll, wie es die Situation eben gerade erlaubt.
„Closing Statements“ ist KAADAs musikalische Abhandlung dieser Individualität des Sterbens, wie sie sich in einem letzten ehrlichen Moment zeigt. Mit seiner Affinität für Klassisches, Cineastisches, Experimentell-Avantgardistisches, aber auch Weltoffenes gleitet der Norweger mühelos über das an sich schwere Thema, das in diesem Fall auch gar keine Schwere vermittelt; Elektronika fusionieren widerstandslos mit organischen Klängen, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt. Dem Sujet geschuldet, ist die dabei freigesetzte Stimmung oft melancholischer Natur, aber auch voller Hoffnung, Optimismus... und manchmal sogar durchsetzt mit überraschendem Humor.
Elf „Closing Statements“, elf letzte Worte also, so einfach katalogisiert KAADA seine Impressionen in elf entsprechende Songs, um auf Albumlänge ihre jeweiligen Besonderheiten herauszuarbeiten, aber auch ihren gemeinsamen Nenner. „It Must Have Been The Coffee“, ist der Titel des Auftakts, der im beruhigenden Timbre eines Schlaflieds mit lieblichen Chören, seligen Streichern und abgedämpftem Pianospiel zartfühlend beginnt, aber auch einen unernsten Blick auf die Sterblichkeit wirft. Der an Speiseröhrenkrebs erkrankte Schauspieler Jack Soo (1917 - 1979) soll diesen Satz gesprochen haben, als man ihn in den Operationssaal schob. Er verwies damit selbstironisch auf seine Figur aus der TV-Serie „Barney Miller“, die dafür bekannt war, schlechten Kaffee zu machen.
In der Überleitung zum zweiten Stück mit dem universellen Titel „Farewell“ bleiben die Chöre und Streicher erhalten, nur die Melodie vollführt einen Wandel. Ab der Hälfte beginnt dann auch das Spiel mit elektronischen Elementen, die zunächst dezent, dann aber immer dominanter in die Rhythmusgebung eingebunden werden. „Everything Is An Illusion“ könnte im Anschluss auf ein Zitat der Tänzerin Mata Hari (1876 – 1917) zurückzuführen sein, die wegen Hochverrats vom französischen Militärgericht zum Tode durch Erschießen verurteilt wurde. Die Stimmen im Hintergrund verweilen weiter, das Piano behält die Stimmung bei, verändert mit kürzeren Anschlägen aber die Struktur. Während im Hintergrund einzelne Trompetentöne ausgestoßen werden, wird das Flimmern der finalen Schnappatmung nachgebildet.
„Unknown Destination“ klingt ein wenig nach einem großen, leeren Zimmer, einem Piano vor dem Fenster und Schnee im Garten, der langsam den Boden bedeckt. Zur Untermalung könnte man sich wunderbar die Animationen vorstellen, mit denen Jessica Cope einige Steven-Wilson-Videos, etwa „Drive Home“ oder „Routine“, veredelt hat. Es ist das bis dato beste Stück, weil es seine Stimmung mehrfach wechselt, bei der Instrumentierung extrem vielseitig ausfällt (Highlight: eine geisterhaft verfremdete Zither oder ein ähnliches Zupfinstrument) und sich im Finale in einen avantgardistisch angehauchten Wahn steigert, ohne dazu Schlagzeug oder aggressivere Percussion bemühen zu müssen – wie überhaupt auf dem gesamten Album nicht.
Nach dem kurzen Zwischenspiel „Wonder Out Loud“, das wie die musikalische Entsprechung eines neugierigen Backenhörnchens auf der Fensterbank klingt, kommt das minimalistische „On The Contrary“, das Breitwand-Himmelslandschaften ins Kopfkino malt. Wer KAADA beispielsweise über seine Kollaborationen mit Mike Patton kennen gelernt hat, weiß, wie bildhaft er musiziert. Die Nähe zur Filmmusik, in der er regelmäßig tätig ist, kommt hier besonders zur Geltung. Es ist erneut der Mittelteil, in dem das Stück durch Elektronika zum Leben erweckt wird.
„Useless, Useless“ bezieht sich auf die letzten Worte des Abraham-Lincoln-Möders John Wilkes Booth, der im Kugelhagel der Polizei recht spektakulär starb, dessen Tod KAADA jedoch mit sanften Wogen kontrastiert. „Clearing Out“ hat anfangs diesen Vibe von NINE INCH NAILS, mit dem Trent Reznor den Spannungsaufbau seiner Songs auf „The Fragile“ gestaltete. Anders als auf „The Fragile kommt es auf dieser Platte aber nicht zum Ausbruch. Mit „More Light“ gab Johann Wolfgang von Goethe kurz vor seinem Tod im Jahr 1832 nicht einfach nur Anweisung, die Vorhänge zurückzuziehen und die Sonne ins Zimmer zu lassen, es verrät implizit seine Faszination für die Wirkung von Licht – eine Doppelbedeutung, die bei einem Dichter seines Formats an Relevanz gewinnt. Erstmals hat man das Gefühl, KAADA lasse das Elektronische ausnahmsweise den Takt vorgeben. Den kuriosesten Titel trägt „Hey unfair, that was my exit“. Angesichts des Uhrentickens, das den Takt vorgibt, mag man sich vorstellen, wie jemand in Eile mit dem Auto unterwegs ist und ein anderer Autofahrer ihm die Vorfahrt nimmt. Die Ruhe, mit der das Stück trotz der tickenden Uhr verstreicht, verwandelt die Autos allerdings in fahrende Betten.
Man merkt schon, obwohl die Instrumentierung auch ohne Schlagzeug reichhaltig ausfällt und phasenweise der Experimentierdrang an die Oberfläche gelangt, „Closing Statements“ ist insgesamt ein sehr sanftes Album, das emotionale Explosionen am Ende der Reise als nicht allzu wichtig erachtet. Einen hat er aber noch: Der Closer „Home In The Dark“ ist dank seines erhabenen Themas das imposanteste Stück der Platte und wird zumindest beim Rezensenten auch mal öfter solo aufgelegt, wenn er mal wieder in der Stimmung für Schwerelosigkeit ist.
FAZIT: Hochgradig spannendes Konzept, das KAADA im für ihn typischen Cinemascope-Format ausbreitet, um in kleinen, aber feinen Details musikalische Verbindungen zu ziehen zwischen den letzten Atemzügen unterschiedlichster Personen der Weltgeschichte. Man muss genau hinhören, um die vielen wuselnden Bausteine zu erkennen, die sich in „Closing Statements“ finden; möglichst sollte man auch für Filmsoundtracks offen sein. Weil die Gemeinsamkeiten der einzelnen Geschichten stark betont werden, fehlt manchmal vielleicht die individuelle Note der aufgegriffenen Persönlichkeiten. Wut, Verzweiflung und Humor werden abgebildet, aber stets umgedeutet in die beruhigende Fusion von elektronischer und handgemachter Musik. Das aber ist dann wiederum die individuelle Note von KAADA.
Erschienen auf www.musikreviews.de am 13.05.2018
John Kaada (alles)
Mirakel Recordings
46:54
25.05.2018