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Karussell: Erdenwind

Stil: Deutsch-Rock und Pop

Cover: Karussell: Erdenwind

Sie waren zu DDR-Zeiten legendär, gerade weil sie aus den in der DDR verbliebenen Mitgliedern der Gruppe RENFT hervorgegangen waren und deren musikalische Tradition mit nicht mehr so „staatsfeindlichen Texten“ fortsetzten und dabei so unvergessene Titel wie „Wer die Rose ehrt“ (Ein Song aus RENFT-Zeiten!) oder „Ehrlich will ich bleiben“ (Was schon wieder aus Sicht der DDR-Zensur eine Provokation darstellte!) schufen. Gerade die kritischen Texte, welche größtenteils noch KURT DEMMLER schrieb, spielten eine immense Rolle bei der Faszination hinter der Band, die für viele als die Bewahrer der RENFT-Tradition und so gesehen deren musikalischen Erben in der DDR angesehen wurden. Als dann auch noch Sänger DIRK MICHAELIS zu KARUSSELL stieß, entstand einer der erfolgreichsten Lieder der DDR-Ära, der selbst heutzutage noch ein unangefochtener DDR-Evergreen neben CITYs „Am Fenster“ und „Der Kampf um den Südpol“ der STERN-COMBO MEISSEN sowie „Tritt ein in den Dom“ von ELECTRA ist: „Als ich fortging“.

Nun also sind sie wieder mit „Erdenwind“ zurück – und manchmal wünscht man sich beim Hören dieses Albums und ganz besonders dem Ertragen ihrer Texte, sie wären weiterhin verschwunden geblieben.
Auch wenn die Band das natürlich völlig anders sieht:
„Während unserer sechsjährigen schöpferischen Pause haben wir unzählige Konzerte im In- und Ausland gespielt, es entstanden der Kinofilm ‚Karussell – 4 Tage auf Hiddensee‘ und der Dokumentarfilm ‚Ela singt‘... Diese so intensive, ereignisreiche Zeit hat uns als Band bereichert, beflügelt und verbunden.“

Eigentlich optimale Voraussetzungen, um wieder durchzustarten, nur hätten KARUSSELL auch daran denken sollen, sich nicht nur als Musiker beflügeln zu lassen, sondern auch den deutschen Texten eine viel größere Aufmerksamkeit zu widmen. Sich vielleicht einen Texter wie Werner Karma für ihre Musik zu wählen, statt selbst den Versuch zu unternehmen, auf ihre – nur in den seltensten Fällen noch immer angenehm nach den „alten KARUSSELL“ klingende – Musik auch Lyrics zu schreiben, die den frühe(re)n Standard oder im allerbesten Falle den Standard der RENFT-Songs zu halten.
Doch was hier größtenteils der (leider als IM „Wolf Kaiser“ mit Stasi-Verstrickungen, die von Klaus Renft öffentlich gemacht wurden, belastete) Vater Wolf Rüdiger mit dem Sohne Joe Raschke abliefert, ist mitunter unerträglich und findet seinen traurigen Höhepunkt in „Karussell“, einem Song, in dem tatsächlich Joe Raschke eine sich peinlich anbiedernde Hommage für die Band verfasst, in der er jetzt selber singt. Au weia – das tut dann wirklich weh (auch unter lyrischem Aspekt): „Sie verteilen das Glück / Mit ihrer Musik / Und bringen damit / Ein Stück Jugend zurück / Nicht nur gegen Lohn / Denn ihre Mission / Zu treffen den Ton / Jeder Generation.“
Und dann wird‘s noch schlimmer – denn nun beweihräuchert sich der Sohnemann auch noch selber: „Der ältere Sound dieser Generation / Ist vielleicht nichts für die junge Nation / Doch sie haben ‘nen Sohn / Und der macht das schon / Mit 100 Prozent für jeden Ton...“
Ja, genau, so demontiert man seinen eigenen Legendenstatus, den man sich über eine lange Zeit und zwei unterschiedliche Gesellschaftsordnungen aufzubauen versuchte.
Was bitteschön wünschen sich denn die alten Fans, von denen die Band in erster Linie noch profitiert?
Musik die nach KARUSSELL, nicht aber einer platt textenden Deutsch-Pop-Band klingt!

Ganz klar und deutlich: der Sohn Joe kann zwar singen und klingt auch von der Stimme her, die ein wenig an DIRK MICHAELIS erinnert, nach den „alten Karussell“, aber texten und komponieren kann er nicht! Dabei kommen größtenteils nur Peinlichkeiten heraus. Finger weg von den Texten! Das Mikro, die Keyboards und die Mundharmonika reichen vollkommen aus.
Im Grunde setzen sich die unsauberen Textversuche in jedem Song, auch dem für ein Video ausgekoppelten <a href="https://www.youtube.com/watch?v=lyVjXery540" rel="nofollow">„Meine Stadt“</a>, fort. Ein Titel, der noch dazu musikalisch so glatt poliert und als Ratespiel getextet wurde, dass er genau den Anspruch erfüllt, den Joe Raschke in „Karussell“ andeutet: „Er verteilt jetzt das Glück ihrer Musik / Und bringt ein Stück ihrer Jugend zurück.“
Das klingt aber nicht nach den jugendlichen KARUSSELL-Rebellen, sondern nach auf modern getrimmte zahnlose Tiger, die versuchen, einen Radio-Hit zu platzieren, indem sie ihre geliebte Stadt Leipzig (Die Antwort auf‘s musikalische Rätsel!) zum Mittelpunkt eines mitunter peinlichen Songs machen: „Und im Sinn ihrer Art / Sei der Name bewahrt / Findet‘s raus / Wir hatten Bach / Wien nur Mozart.“
Schlimmer geht‘s nimmer, wenn man auch noch mit solchen Zeilen beweist, dass man von Klassik so viel Ahnung hat wie von guten Texten in der Rockmusik. Nämlich gar keine, wenn man Bach, der übrigens in Eisenach geboren wurde und erst mit 38 Jahren nach Leipzig kam, und Mozart, der wiederum in Salzburg geboren und dort jahrelang Konzertmeister war, nicht in einem Atemzug, sondern als „Bach war größer als Mozart“-Vergleich anbringt!

Im Grunde könnte man sich jeden der zehn Texte vornehmen, auch die, welche von anderen Musikern geschrieben wurden. Nicht einer schafft es auch nur ansatzweise völlig zu überzeugen, sondern moralapostelt, wie bei „Sag deinen Namen“ von Reinhard Griebner oder „Mein letztes Lied?“ von Reinhard Huth, vor sich hin. Die hoffnungsvollsten beiden Songs sind so die beiden zeitkritischen Texte von Michael Sellin, die sich allerdings in aneinandergereihten Aufzählungen erschöpfen: „Wenn es hart wird“ und „Frei sei der Mensch“.

Im Sinne der STERN-COMBO MEISSEN könnte man nun fragen „Was bleibt“ von diesem KARUSSELL-Album übrig, das Erinnerungen an die Vergangenheit einer zu DDR-Zeiten hoch verehrten Band und ihre hoch geachteten Texte, die zwischen den Zeilen für viele in der DDR eingemauerte Freigeister und Musikliebhaber so unglaublich wichtige Botschaften in sich trugen, wecken soll?
Positiv ist auf jeden Fall der gute Gesang.
Oder ein Song wie „Geben oder Nehmen“, der von KARUSSELL-Ur-Gestein Reinhardt Huth komponiert, (leider auch) getextet (Wie kann man nur aus der Redewendung: „Das letzte Hemd hat keine Taschen.“ ein „Im letzten Hemd kann man nichts tragen.“ machen?) und eingesungen wurde, welcher als einziger noch wirkliche Erinnerungen an die KARUSSELL der DDR-Vergangenheit weckt.
Doch was kommt dann?
...
Ein FAZIT:
Vielleicht fallen KARUSSELL auf dem schon vom Titel her blöd klingenden „Erdenwind“ („Erdenwind verweht unsere Träume / Trägt Sand in falsche Räume.“ - Aha?!) noch ein paar eingängige Melodien, die sofort ins Ohr gehen ein – aber sie haben sich längst von den komplexeren, rockigen oder dem Blues huldigenden Strukturen ihrer Musik-Vergangenheit verabschiedet. Das, was früher sich mal an RENFT in und durch KARUSSELL verwirklichte, ist komplett gestorben. So gesehen dreht sich dieses Musik-KARUSSELL in die falsche Richtung – nämlich Pop mit schlechten deutschen Texten, so gut und erfahren die Musiker, welche diesen Pop einspielen, auch sein mögen.
Sie waren in der DDR mal legendär – doch nach „Erdenwind“ liegt die Betonung ausschließlich auf „waren“!

Punkte: 6/15

Erschienen auf www.musikreviews.de am 04.09.2018

Tracklist

  1. Meine Stadt
  2. Geben oder Nehmen
  3. Frag nicht
  4. Sag deinen Namen
  5. Nachtkind
  6. Erdenwind
  7. Karussell
  8. Wenn es hart wird
  9. Frei sei der Mensch
  10. Mein letztes Lied?
  11. Nachtkind – Instrumental

Besetzung

  • Bass

    Jan Kirsten

  • Gesang

    Joe Raschke, Reinhard Huth, Jan Kirsten

  • Gitarre

    Reinhard Huth, Hans Graf

  • Keys

    Wolf-Rüdiger Raschke, Joe Raschke

  • Schlagzeug

    Benno Jähnert

  • Sonstiges

    Joe Raschke (Mundharmonika)

Sonstiges

  • Label

    Monopol/DA

  • Spieldauer

    40:40

  • Erscheinungsdatum

    11.05.2018

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