Auf ihrem siebten Studioalbum erzählt die kanadische Country-Dame Lindi Ortega eine regelrechte Räuberpistole über eine fiktive weibliche Figur in einem Western-Milieu, die sich mit gebrochenem Herzen auf einen Rachefeldzug begibt, an dessen Ende Läuterung steht. Man braucht diese Story jedoch nicht auf die Singer-Songwriterin zu münzen oder überhaupt eingehend zur Kenntnis zu nehmen, um sich von "Liberty" unterhalten zu lassen.
Das Album lässt sich auch rein akustisch als Trip durch nordamerikanische Wüsten verstehen, denn Ortega behält ihre bekannte Klangpalette bei und malt mit Gitarren-Twang, flotten Grooves und dramatischem Gesang ein vielfarbiges Bild, zumal andererseits auch Mariachi-Trompeten und abwegige Kuriositäten wie das Surf-artige Solo in 'Pablo' eingebunden werden. Die wiederkehrenden 'Through the Dust'-Instrumentalstücke weisen allerdings einen ausgeprägten Soundtrack-Charakter auf, der fast zwangsläufig nach dem Schaffen von Ennio Morricone schreit.
"Liberty" wurde von Skylar Wilson (Justin Townes Earle, Caitlin Rose) produziert und befindet sich in puncto Klangästhetik gänzlich auf der Höhe der Zeit, was den verschmitzten Retro-Charakter perfekt ausbalanciert. Zu den Highlights der u.a. von John Paul White und dem Gitarrenduo Steelism komponierten Tracks gehören das kräftig zupackende 'You Ain’t Foolin’ Me', 'In the Clear' als Ruhepol sowie das Klingeln und Pfeifen von 'Afraid of the Dark', doch im Grunde steht jedes Stück für sich und kann auch als solches genossen werden.
Ortega begeht arbeitet sich nämlich richtiggehend an verschiedenen Genres ab und brilliert in jeder Situation. Als Bonus wurde zudem eine Neuinterpretation von 'Gracias a la Vida' angefügt, ein Lied der chilenischen Folk-Sängerin Violeta Parra und Zeugnis überschwänglicher Lebenslust, das u.a. auch Joan Baez gecovert hat. In diesem Sinn ist vermutlich auch das gesamte Album zu verstehen.
FAZIT: Mit "Liberty" legt Lindi Ortega einen musikalischen Spaghetti-Western vor, der trotzdem weniger fiktiv als emotional fassbar anmutet. Ungeachtet mehrerer Anspielungen auf die cineastische Popkultur und die frei erfundene Story bergen die Songs Identifikationspotenzial für jeden Hörer, der mit dem Herzen genauso leidenschaftlich bei der Sache ist wie die Künstlerin selbst.Im Country- und grauen Singer-Songwriter-Alltag ist dieses Album deshalb ein strahlender, weil origineller Lichtblick.
Punkte: 11/15Erschienen auf www.musikreviews.de am 13.06.2018
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25.05.2018